Beneder topogr. Beugung (149)
"Topografische Beugung" - Ernst Beneder über die Ausstellung von George Hung in Krems
22. November 2002
Ein Versuch anläßlich der Eröffnung der Ausstellung:"George Hung . Topographische Krümmung"
(weitere Informationen zur Ausstellung unter "Programm")
Es geht einmal mehr um den Ort - und der Ort ist, wie Sie wissen, ein zentrales Anliegen von ORTE architektur netzwerk niederösterreich, es geht also um den Ort an sich, um dessen Wahrnehmung, seiner Wirkung und Wirklichkeit, um den physischen Widerstand des Ortes, und das Naheverhältnis zu einem Ort, das aus dem Grad der Überwindbarkeit dieses physischen Widerstandes entsteht.
Es wäre verfehlt anzunehmen, daß die Wahrnehmung virtueller Größen erst mit der Einführung neuer , der virtuellen Medien einhergeht.
In der Vergangenheit - bei gleichsam bloß "analoger" Wahrnehmung des Topographischen - konnte ein schroffer Bergrücken, die in Luftlinie naheliegenden Orte so nachhaltig trennen, daß eine - eben nicht geographisch/topographische Nähe und Distanzerfahrung bestanden hat - sondern solcherart virtuelle Klüfte und Nähen das Selbstverständnis des Bewegungs- und Lebensraumes bestimmt haben.
Notabene bestehen diese - nicht analogen - Nahe- und Distanzverhältnisse in den zwischenmenschlichen Bezuiehungen: naheliegende Nähen, unnaheliegende Distanzen, sich dem rationalen Verständnis entziehende Liebesfälle, solche auf dem ersten Blick, deren Eigenart nur im Sosein benannt werden, so nur mehr festgestellt und nicht beschrieben werden können, und das in der kleinsten benennbaren Einheit, eben wie in der Quantenpysik von der kleinsten wahrnehmbaren, benennbaren Einheit die Rede ist. Dafür gibt es keine Worte mehr, sondern nur mehr Namen.
Sie haben mich längst durchschaut, daß meine Sprache - weil eben über Architektur und Urbanistik so schwer zu reden ist - ins metaphorische ausgewichen ist, und ich längst die Architektur und den Städtebau meine, wenn von Namensgfebungen und der Liebe auf den ersten Blick die Rede ist, von den kleinst bennbaren, merkbaren Orten, die in schwierigen Beziehungskisten zueinander stehen, sich abstoßen, anziehen, Felder und Räume bewirken, Raumkörper hervorbringen, die wir mit uns nehmen, als das Reziproke des Gesehenen, aber Schauplatz des Geschehenen, Räume, deren Eindrücklichkeit vortextlich ist, als elementares, sich der beschreibenden Sprache entziehendes Phänomen.
Die Raumerfahrung entzieht sich jedem Versuch der Abbildung. Erst im Hinzutreten kommt sie zur Wirkung, im Hinzutreten dessen, der die Stätte finden, den Augenblick statt finden läßt, - und semantisch kommt uns hier das Englische treffend entgegen, when architecture takes place, obviously it occupies a site, but takes places in what ever happens for the recipient, als Induktion im Chaos der Quanten, das nachhaltige Wahrnehmungsmuster hervorbringt.
Die gemeinsame Wahrnehmung der Schauplätze und deren Maßstäblichkeit erzeugt Konsens und gibt dem menschlich Geschehenen ein Hier. Es sind die Spuren, jene Partikel der Wahrnehmung - Roland Barthes spricht in seinem essay "im reich der Zeichen" von den "Blickbuchstaben". Diese Topoi, die im Einvernehmen wahrgenommen werden - eben Buchstaben- , legen im Einvernehmen eine Sprache fest, frei von der ersten Wirklichkeitserfahrung, in der Lage das Topographische zu beugen, in der Erzählung des Hinzutretenden, der seine eigene Welt - jener seiner Gedanken, Gefühle, Neigungen und Erfahrungen, seine persönliche Geschichte mit sich bringt, Gegenwärtigkeit im stand by, Raum in bereitschaft, eine Bereitschaft, die dem Raum seine Bedeutung durch Anewesenheit, eben in An, Wesen und Heit gibt. Und so dem Ort die Örtlichkeit, der Architektur die Architektonizität, dem Topos das Topoide und dem Wesen das Wesentliche
Distanzen wegzudenken, Sehnsucht heranzuziehen, Erklärungen des Selbst zu geben, Bekenntnise zu geben: Hier. Jetzt. Ich. Du. Wir. Dort Sonst. Wenn. Dann. So. Solches. Das. Punkt. Komma. Frage.
Man muß hier klarstellen, daß das was wir Architekten wollen, so intensiv wollen, etwas gemeinhin unbekanntes ist. im Alltag nicht wahrgenommen wird. Fährt man quer durchs land und man würde einem gutgesinnten Menschen erklären oder zeigen wollen, was wir eigentlich so tun und was uns ein Anliegen ist, wir fänden kein Beispiel dazu.
Die Rede von der Krise der Architektur ist so alt wie die Architekturgeschichtsschreib-
ung, und sie bewegt sich seit je im Spannungsfeld von Intensität des Ortes und Trivialität.
Es wird später die Rede über das Wirkungsfeld dieser Intensität sein. Zunächst ist festzuhalten, dieser Diskurs ist ambivalent Die Gefahr, die dabei immer besteht, ist alles - und wirklich den alltäglichsten Handgriff zum Akt des künstlerischen Veredelens und unter dem Vorwand der poetischen Absicht zu stellen, im puren Eskapismus in eine ästheitische und daher ständig frustrierte Scheinwelt zu kommen. Aber auch die Chance in einer permanenten Lebenstrance allem und jedem Ding auf den Grund zu gehen und selbst in bescheidensten Mitteln das Schöne und Befriedigende zu finden.
Der Blick auf das Faktum unserer Umwelt gibt uns eine Ahnung dessen, was da noch auf zu kommt. Es wäre naiv anzunehmen, den entfesselten Kräften, die unsere Welt verändern, Einhalt gebieten zu können. Die Lösung kann niemand anbieten. Als Architekten könnten wir leicht in den Irrtum verfallen mit urbanistischen Operationen Ordnung zu schaffen. Wir vergessen dann, daß die Unordung eben zum höchsten gesellschaften Wert, zum Ausdruck demokratischer und merkantiler Chancengleichheit gewachsen ist, das Wählbarkeit und Verbrauch - als nicht Festlegung - den Resourcenverbrauch durch Vielfachbelegung der Orte mit eben wählbaren Themen notwendigerweise ins Unermessliche steigert, was uns völlig neue Chancen der Flucht eröffnet. Wir finden immer noch Orte und Räume mit Intensität, aber weil wir diese wählbar wollen - heute Exotik, morgen alpin, gestern war es cifi - halten wir Distanz und unsere unmittelbare Umwelt, seltsam konturlos. Versatzstücke bringen Erinnerungen, - ein Turmzimmer, ein mediteraner Hof oder die Bauernstube, ein Heuboden mitten im Stadthaus - als kleine Erinnerung bis zum nächsten Trip, aber auch das weiße Rauschen unendlich vieler Informationspartikel.
Die Position der intensiven Architektur wird dabei immer schwieriger und kann sich nur auf die Instensität der Räume zurückziehen. - Wo sie im übrigen immer hin gehört hat ! - Räume, insbesondere jene des Wohnens sind Bühnen, die Bedeutung und Erinnerung aus den Beziehungen und Ereignissen erfahren und die das Eintreten erinnernswerter Ereignisse erst herbeiführen. - Räume der Städte , der Häuser, der Landschaft. - Keineswegs Bilder.
Unsere Lebensträume brauchen Freiräume und nicht Requisiten
Räume sind es auch, die politischen Systeme standhalten, und jenseits der Patina ihrer Begrenzungsflächen nicht alt werden. Und um Alois Riegel , den Mentor der Denkmalpflege zu bemühen , als "Kunstwert" im Denkmal, der neben dem Alters- oder Erinnerungswert, der zeitlose im Denkmal ist, das "Moderne" im Alten bleibt, und sinnstiftend die Zeiten überdauernd das Denkmal und die Architektur prägt.
Vieles der vernakulären Architektur überzeugt als solches zeitloses Objekt. Auch sind sie so die Chiffren des Hauses an sich. Aber als Bilder werden sie vielfach missbraucht.
Der Diskurs über das Haus und dessen elementare Botschaft vermittelt einen Zugang zur Architektur. Der Mehrwert des Gutgebauten erschließt sich leise. Allgemein am ehesten noch unbewußt an Räumen historischer Bau- und Stadtbaukunst. Vielfach wird die Wahrnehmung solcher Räume (auch jene der Landschaft) mit stimmungsvollen Abbildungen verwechselt, die mit dem Anlaß der Wahrnehmung oft nichts zu tun haben. Die Idealisierung dieses "Rahmens" und die Vertagung der Raumansichnahme ist die Folge.
Solche Bilder - im übrigen auch Pläne - zeigen bloß die Ränder dessen, was den Mehrwert des Dazwischen ausmacht: den Raum als reziprokes Eigentliches des Gesehenen, aber Schauplatz des Geschehenen. Mit Geometrie und Technik hat das alles nichts zu tun, also reden die Architekten viel, wenn sie viel vom Raum und wenn sie verstanden werden wollen. Und Letzteres ist eben nicht so oft der Fall.
Das Konkrete ist nicht benennbar, nur beschreibbar. Etwa so: Mir ist, als fände ich hier Halt. Das erfordert völlig unbelastete Zeichen, solche, die uns weisen, die wir nicht erlernen müssen, sondern nur erfühlen können, die uns letztlich auch den Zugang zu Fremdem öffnen. Halten wir fest: Als Kulturraum fassen wir den Begriff der Region immer weiter. Die Mikrostruktur innerhalb des Ganzenverleirt sich dabei zunehmend in einer diffusen Inhomogenität: Im Pluralismus, der Chancengleichheit, im Netzwerk der Globalisierung, grenzt sich die Region im engeren Sinn schon beim Einzelnen ab, in der bewußten Verantwortung eines politischen Standpunktes, aber auch in der persönlichen und kulturellen Vereinsamung, ist auf den Ort beschränkt, der uns so nahesteht, daß wir ihn nicht aufgeben. Einen Topos den wir durch unser Anwesen zu unserem Ort beugen.
Ernst Beneder, am 17.11.2002 für ORTE architektur netzwerk niederösterreich in der Factory der Kunst.Halle.Krems