Horn im GEHspräch. Eine Wegbeschreibung.
vgl. "Horn im GEHspräch"
Das 1. ORTE-GEHspräch mit Landschaftsarchitekt Dominik Scheuch führt, ausgehend vom Canisiusheim, einem ehemaligen Priesterseminar, durch die Altstadt von Horn hinaus auf die berüchtigte „Goldene Meile“ und macht uns auf Sichtbares wie Unsichtbares, auf Mögliches wie Unmögliches, auf Vitalität und Ödnis, auf Wesentliches und Sonderbares aufmerksam.
Wir beginnen im großen Maßstab - einem Luftbild von Horn, und orientieren uns an der Kirche, der landschaftlichen Weite und der Landmark „Raiffeisen-Lagerhaus“. Und dann gehen wir los - spazieren, betrachten, reden und sinnieren im Sinne Lucius Burkhardts.
Ausgangspunkt ist das oberste Stockwerk des Cansiusheims, welches aufgrund baubehördlicher Auflagen eigentlich gesperrt ist. Das eindrucksvolle Gebäude aus dem Jahr 1960, nach Plänen des Wiener Architekten Ladislaus Hruska errichtet und nicht Denkmal geschützt, wartet auf seinen Verkauf. Die Zukunft des katholischen Bildungsbaus samt Kapelle ist ungewiss, ein Abriss kann nicht ausgeschlossen werden. Viele von uns SpaziergängerInnen wünschen sich den Erhalt. Warum nicht etwa in ein „Strandhotel“ umwandeln? Ein öffentliches Freibad vor dem Haus gibt es schließlich schon.
„Architektur ist Abbild der Gesellschaft“, sagt einer aus der Gruppe. So ist auch das Canisiusheim ein Abbild für die Stadt Horn, die lange als regionale und überregionale Bildungsmetropole bedeutend war und diese zentrale Stellung langsam verliert. Wie gehen wir heute mit unserem Erbe um und somit auch mit dessen baulichen Zeugnissen?
Zwischen Schule und Freibad starten wir Richtung Innenstadt. Da fehlt eine Bushaltestelle und vielmehr noch der Bus, der uns stadteinwärts bringt. Kein Problem. Wir zeichnen uns den Bus mit Kreide auf den Asphalt und steigen ein. Motorschaden. Wir setzen den Weg also zu Fuß fort. Doch da fehlt ein Zebrastreifen, um die Straße überqueren zu können. Kein Problem. Wir malen den Zebrastreifen auf. Und, siehe da: Die Autos warten diszipliniert.
Durch die Schulgasse mit ihren charmanten historischen Einfamilienhäusern schlendernd erreichen wir den wahrscheinlich bezauberndsten Kreisverkehr Niederösterreichs (und dieses Land hat wahrlich unzählige davon), der freilich nicht Produkt einer Gestaltung, sondern Relikt eines Parks ist: Ein alter Springbrunnen, umgeben von Parkbänken und Hecken ziert die Verkehrsinsel und lädt uns zur Lagebesprechung ein.
Unser Weg führt uns in den Hof des ehemaligen Bundeskonvikts aus den 1950er Jahren, wo sich die Natur ihren Platz zurückerobert, während das heruntergekommene Gebäude darauf wartet, aus seinem Dornröschenschlaf wach geküsst zu werden.
Wir überqueren den Stadtgraben und lauschen am Eingang zur historischen Altstadt Dominiks Ausführungen über die Straßenecke und entdecken das „Haus auf dem Haus“, das nicht etwa eine künstlerische Intervention, sondern ein ernstgemeinter Zubau sein dürfte.
Zwischenhalt in der Piaristen-Passage. Die innerstädtische Geschäftsgalerie zeigt uns einen Leerstand neben dem anderen. Hier stören wir niemanden und spüren unseren Assoziationen des Begriffs ‚Stadt‘ nach.
Wir freuen uns in der „Stadt der kurzen Wege“ auf einen Kaffee und erreichen den Hauptplatz. Enttäuschung. Die „Wiener Conditorei Hans Unterweger“ hat geschlossen. Vor langem schon. Wir können uns die sagenumwobene Mehlspeise also wieder einmal aufzeichnen. Kein Problem. Schließlich sind wir nicht zum Schlemmen gekommen, sondern um uns über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadt Gedanken zu machen. Dominik zückt folglich seinen Block und nimmt Bestellungen für die Stadt Horn auf. Diese Liste ist nicht enden wollend: 1 x Regionalmarkt wöchentlich, 3 x Hallenbad als Neunutzung eines Altbestands, 1 x Pétanque-Bahn, 1 x Möglichkeitsräumefestival, 3 x Parkplatzentfernung und Renaturierung, 1 x Antiquariat, 1 x Schanigärten … Die Bestellung wird umgehend weitergeleitet. Doch wird um etwa zwei bis zehn Jahre Geduld gebeten.
Vorbei am Hotel Ölknechthof erreichen wir auf einem betonierten Platz das Ufer der Taffa, bestaunen eingesperrtes Grün und besprechen Horns Anspruch einer „Citta Slow“ und was es mit der kommunalpolitischen Vision einer Stadt für „Silver Ager“ so auf sich hat. Wir streifen den 100-jährigen Stadtpark und steigen einen Hügel hinauf, auf der die „Goldenen Meile“ beginnt, die mit ihren Geschäften „metastasierend dem Herzen der Stadt die Lebenskraft absaugt“.
Nach insgesamt drei Stunden haben wir also endlich den Gewerbe-Highway erreicht, der endlos wirkend vor uns liegt. Demokratisch wird beschlossen, das andere Ende aus der Ferne auf uns wirken zu lassen. So nehmen wir auf einem Flecken Restgrün vor einem aufgelassenen Autohaus Platz, wo uns vorbeifahrende Menschen verblüffte Blicke zuwerfen. Bei Manner-Schnitten und Radler werden letzte Eindrücke über die Trash-Architektur des Gewerbegebiets ausgetauscht. Ganz generell müssen noch einmal die Transformation „Rurales in Urbanes“ und „Urbanes in Rurales“ sowie das neue „Cosy Cocooning“ diskutiert werden.
Finale Plädoyers für das gemeinsame Gestalten von Stadt und die Verantwortung jedes Einzelnen beschließen den Spaziergang. Vieles geht im dröhnenden Lärm des Autoverkehrs unter. Aber auch der ebbt schließlich ab, weil die Geschäfte langsam schließen.
Heidrun Schlögl
Bitte beachten Sie die umfangreiche Bildergalerie rechts.