Landschaftsarchitekt und Spaziergangsleiter Dominik Scheuch startete den Rundgang am Rathausplatz (Planung: Boris Podrecca) vor dem Wegweiser der Kulturhauptstädte Europas, der derzeit mit all seinen Anzeigern ganz im Verkehrszeichen-Design den bereits seit 30 Jahren autofreien Freiraum ziert. Den Schriftzug „SANKT“ hatte er auf einem Schild mitgebracht – exakt abgestimmt auf die Farben der Europäischen Union. Von da aus brach die etwa 60-köpfige Gruppe auf, nicht ohne den verheißungsvollen Satz „Die Stadt ist mir heilig.“ zu hinterlassen.
In der Heßstraße / Ecke Roßmarkt folgte bereits das nächste Schild „WESELY“: So hieß das hier angesiedelte traditionsreiche Autohaus, in dem später das Möbelhaus Leiner untergebracht war, und das heute – ganz im Sinne einer Zwischennutzung - als temporärer Kunstraum dient. Der in der späten Moderne von Architekt Reinhard Pfoser geplante Bau fasziniert bis in die Gegenwart durch seine wabenförmigen Fenster und bietet hohes Potential für zukünftige Entwicklung.
Von da aus ging die Suche nach kulturellen Orten weiter, und so fand sich auf dem Weg zu den ehemaligen St. Pöltner Stadtsälen ein Parkplatz mit vertikal montierten „Schwimmnudeln“, die wie ein Kunstprojekt im Raum hängen, und eine regelrechte „Baumkathedrale“, bestehend aus vier mächtigen Blutbuchen, die als Naturdenkmäler ausgewiesen sind.
Angekommen im City Hotel, führte Dominik Scheuch in den heute denkmalgeschützten (Baujahr 1895) und von Architekt Pfoser in den 1950er Jahren erweiterten „Stadtsaal“, der in seiner charmanten Lamellen-Ästhetik nach wie vor als Konzertsaal Nutzung findet.
Vor dem Hintergrund des Landesgerichts zückte Scheuch sogleich den nächsten Schriftzug „RAUM“ und es stellte sich die Frage, wie „FREI“ dieser Freiraum tatsächlich ist. Denn an dem von Architekt Christian Kronaus gestalteten Vorplatz zum Landesgericht brausen unzählige Autos vorbei, und es blieb Mutmaßungen überlassen, ob der Verkehrslärm allein Schuld daran ist, dass dieser Platz von den StadtbewohnerInnen so unzureichend angenommen wird. „Meine Stadt braucht Freiraum“ an einem der Vorplatz-Objekte proklamierend, zog die Gruppe weiter. Vorbei am Karmeliterhof, wo Wohnbau entstehen wird, sobald die archäologischen Grabungen abgeschlossen sind, hin zum Löwenhof, wo einst das Gasthaus „Zum goldenen Löwen“ stand und wo jüngst das Büro der Plattform „KulturhauptStart“ etabliert wurde, die mit ihrem Engagement auf soziale Inklusion und Vernetzung mit der freien Kulturszene setzt, um Impulse für die Kulturhauptstadtwerdung zu setzen. Als Dank für diese Initiative hinterließ die Gruppe den Schriftzug „Die Stadt braucht Ideen“.
Weiter ging es über die von Leerstand geprägte Linzer Straße Richtung Europaplatz, der in den 1960er Jahren geschaffen wurde. Von den TeilnehmerInnen war zu erfahren, dass noch kaum jemand von ihnen in die Mitte des Kreisverkehrs vorgedrungen war, und so steuerte die Gruppe kurzerhand den im Platzzentrum befindlichen Brunnen an. Inmitten des Verkehrslärms wurde dann ersichtlich, dass dem Platz mehr als nur die räumliche Grenze fehlt und so bleibt die Hoffnung, dass die aktuellen Umplanungsvorhaben auch eine gestalterische Verbesserung mit sich bringen.
Kaum hundert Meter weiter wurde es wieder ruhig: Man schlenderte – historische Fakten austauschend - durch das Villenviertel in der Handel-Mazzetti-Straße und betrat bald den Park vor der ehemaligen Voith-Villa, in der heute die städtische Musikschule eingerichtet ist. Dieses Herrenhaus wurde Anfang des 20. Jahrhunderts nach Plänen von Architekt Rudolf Frass errichtet und strahlt mit der gesamten Anlage bis heute Glanz und Großzügigkeit längst vergangener Tage wider.
Unweit davon befindet sich immer noch das karge aber nicht minder beeindruckende „Forum Kino“, das heute als Veranstaltungsraum dient, sowie die sogenannte Waschblau-Siedlung, die von 1928 bis 1930 nach Plänen von Rudolf Wondracek errichtet wurde, der später selbst hier wohnte. Wondracek, der ein Schüler Otto Wagners war, stellte seine Pläne zur Verfügung, die von der Bevölkerung im Selbstbau umgesetzt wurden. Baustoffe wurden gemeinsam gekauft. Birken wurden gepflanzt und säumten einst die Wohnstraße. Heute sind sie längst verschwunden. An ihrer Stelle parken Autos. Die SpaziergängerInnen suchten nach einem noch originalen Bau und wurden tatsächlich fündig.
Raus aus dem urbanen Gefüge zog die Gruppe last not least ihrer letzten Station entgegen und traf im Sonnenpark auf Markus Weidmann-Krieger, den Vorsitzenden des Non-Profit-Vereins Sonnenpark, der – nomen est omen - mit unermüdlichen MitstreiterInnen auf diesem 40.000 m² großen Areal einen einzigartigen Natur- und Kulturpark geschaffen hat und erwirken konnte, dass die hier vorherrschende Wildnis in der Stadt bewahrt wird. Der Sonnenpark war einst ein frühindustrielles Areal, auf dem ein Sägehärtewerk, eine Sensenschmiede und eine Holzschleiferei standen. Relikte aus der Zeit um 1880 sind noch erhalten, ebenso schlängelt sich noch der Mühlbach, ein seinerzeit angelegter Werksbach, durch den wilden Park, wo das GEHspräch seinen Abschluss fand.
Bereits zum zweiten Mal begibt sich ORTE auf promenadologische Erkundung nach St. Pölten. Unter der GEHsprächsleitung von Dominik Scheuch wird unter anderem untersucht, ob die Landeshauptstadt das Potenzial zur Kulturhauptstadt hat.
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