Project Studies 'Wesely House', St. Pölten
Christian Helwing
Während seines AIR-Aufenthaltes in Krems im Sommer 2018 beschäftigte sich der deutsche Künstler (siehe dazu: Christian Helwing - AIR-Profil) mit dem sogenannten Wesely-Haus, einem zur Zeit leerstehenden Gebäude unweit des Zentrums von St. Pölten, 1968 errichtet nach Plänen des Architekten Reinhard Pfoser und momentan im Besitz des Immobilienentwicklers Martin Bosch, dem Nott Caviezel (Kunst- und Architekturhistoriker, ORTE-Vorstand) im Zuge der Projektpräsentation dafür Dank aussprach, dass er sich mit dem Kauf des Wesely-Hauses und dem Vorhaben, das Haus nachnutzen zu wollen, darum bemüht, das Gebäude zu erhalten, was in späteren Jahren, wenn vieles verschwunden sein wird, als noch bedeutsamer erachtet werden mag als heute.
Christian Helwing selbst: Zur Projekt-Studie Wesely-Haus, St. Pölten 2018
Als AIR Krems Stipendiat habe ich mich in einer Projekt-Studie mit dem Wesely-Haus in St. Pölten auseinandergesetzt. Dies geschah auf Initiative von Heidrun Schlögl von ORTE und dem Eigentümer der Immobilie, Martin Bosch. Inder Studie habe ich verschiedene Möglichkeiten zur räumlich-konstruktiven Erweiterung des Wesely-Hauses an der Schnittstelle von Kunst und Architektur entwickelt. Diese können innerhalb unterschiedlicher Themenschwerpunkte als temporäre und reversible Installation in und auf dem Wesely-Haus realisiert werden. Darüber hinaus habe ich eine Reihe von Ansatzmöglichkeiten zur Gliederung und Strukturierung der einzelnen Stockwerke des Hauses erarbeitet. Diese können in einem angewandten Bereich, auch unter Implementierung eines Kunst-am-Bau-Projekts weiter entwickelt werden. Eine Kooperation zwischen Architekt und Künstler liegt im Bereich des Möglichen.
Analyse
Das ehemalige Autohaus ist ein Gebäude der Nachkriegs-Moderne und im Kontext visionärer Architekturen einzuordnen, die in den 1960-er Jahren mit Zellstrukturen thematisierenden Fassaden-Elementen realisiert wurden. In seiner prägenden Wabenfassade kommt das Prinzip der strukturellen Standardisierung von Bauteilen – hier für ein einzelnes Gebäude – zum Ausdruck, weniger das systemische, die Ansichten der Innenstädte uniformierende Prinzip der modularen Vervielfältigung.[1] Kritisch betrachtet lässt sich die Wabenstruktur im konkreten Fall auch als eine, die Stahlbeton-Struktur verbergende „Schmuck-Fassade“ bezeichnen. Das Wesely-Haus bildet einen markanten Baukörper, der als Blockrand-Bebauung eine skulpturale Kraft zu entfalten vermag und aus architekturhistorischer Sicht als unbedingt erhaltenswürdig einzustufen ist.
Nach verschiedenen Zwischennutzungen steht das Gebäude derzeit leer. Planungen zur klimatischen Sanierung des Baukörpers werden vermutlich im kommenden Jahr in die Realisierungsphase gehen. Diese betreffen im Wesentlichen die Wiederherstellung der Schaufenster-Front im Erdgeschoss, als auch die Errichtung einer, hinter der Waben-Fassade montierten Innenverglasung im 1. Stockwerk des Hauses. Die Möglichkeit einer Aufstockung des Gebäudes ist in der Struktur des Baukörpers angelegt und vom Eigentümer für die Zukunft angedacht.
Da es in der Architektur, über längere Zeiträume gesehen, keine Kontinuität hinsichtlich Form, Inhalt und Funktion von Gebäuden gibt, sind meiner Meinung nach gerade bei baulichen Veränderungen eines ikonischen Autohauses, heterotopologische Aspekte zu beachten. Diese gehen allgemein davon aus, dass ein Gebäude „mehr ist“ als sich durch seine materielle, also bauliche Objektivität und den damit verbundenen Funktionen beschreiben lässt. Die ursprüngliche Funktion des Wesely-Hauses bestand darin, eine Art Bühne für den Verkauf von Automobilen zu sein. Formal dem Wesen der Zeit entsprechend, sollte es dabei ein mit der individuellen Mobilität verknüpftes Zukunftsversprechen einlösen. Im weiteren Sinne ließe sich seine narrative Struktur auch als die eines „Hauses der Zukunft“ beschreiben, womit die Pläne, aus dem Wesely-Haus erneut ein solches werden zu lassen, inhaltlich und formal spezifiziert werden sollten.
Grundsätzlich ist die Frage zu stellen, wie mit erhaltenswerten historischen Architekturen umzugehen ist. Kann der ursprüngliche Plan des Architekten verändert werden, und wenn ja, wie weit? Da das Gebäude ein Teil der öffentlichen Wahrnehmung ist, sollte über den faktischen Besitz der Immobilie durch den Eigentümer hinaus die Frage gestellt werden, wem das Gebäude als architektur- und zeithistorisches Monument „gehört“?
Formen der Darstellung
Meine Studien zur räumlich-konzeptionellen Gliederung und Aufstockung des Hauses möchte ich, in dem zeitlich limitierten Rahmen des AIR Krems Aufenthaltes, als eine Art „Brainstorming“ verstanden wissen. Die von mir umgesetzten Skizzen und Modelle thematisieren das Gebäude in unterschiedliche Richtungen denkend: Hinsichtlich einer temporären Installation, eines Kunst-am-Bau-Projekts oder einer möglichen Kooperation zwischen Architekt und Künstler.
Ohne näher definierten Projekt-Rahmen habe ich die Ausgangslage für meine Projekt-Studien zunächst als hinderlich empfunden. Dieser Aspekt verkehrte sich jedoch schnell ins Gegenteil, denn darin liegt eine Offenheit, Fragestellungen zu thematisieren, ohne den Zwang einer unmittelbaren Realisierung zu haben. Eine Qualität also, die sich in dieser Form bei meinen künstlerischen Arbeiten nicht realisieren lässt.
Meine Darstellungen und Modelle basieren auf einem in schwarz-weiß angelegten Schema. Formen der Materialität lassen sich im jetzigen Stadium der Studie nicht daraus ableiten. Ich bevorzuge diese Methode der Darstellung, da sie eine Konzentration auf die wesentlichen Aspekte von Volumen, Körper und Raum ermöglichen. In den Skizzen und Modellen des Dachaufsatzes ist eine Struktur aus Wänden und Decken mit entsprechenden Öffnungen für Fenster und Oberlichtbereiche erkennbar.
Folgende Themen-Schwerpunkte, die in den diesen Bericht begleitenden Bildsequenzen lediglich angedeutet werden können, habe ich in meiner Studie erarbeitet:
Raumteilungen/ im Grundriss des 1. Stockwerks (Wabenebene)
Begehbare Raum-Skulpturen zu schaffen, in denen die BenutzerInnen auf besondere Weise - nämlich körperlich und diese Erfahrungen reflektierend - angesprochen werden, bildet meinen konzeptuellen Ansatz für räumlich-strukturelle Überlegungen.
Zunächst habe ich versucht Raumteilungen, aus einem einzelnen, überdimensional vergrößerten Wabenelement zu entwickeln. Die auf den Grundriss projizierten Umrisse eines solchen Elements wären im konkreten Erleben des Raums jedoch nicht nachvollziehbar gewesen und hätten wie eine Paraphrase des Schemas des Hauses gewirkt. Das Thema der Wabe verfolgte ich daher in anderer Weise, in Form von Fragmentierung und Teilung. Durch die Kombination dieser Teile entstanden neue Form-Elemente in denen Raum-Diagonalen, abgeleitet aus dem Winkel zur Konstruktion eines Wabenelements, formal und dominant in Erscheinung treten.
In diesem Zusammenhang habe ich u.a. einen Entwurf dargestellt, bei dem das 1. Stockwerk von einer an ein „X“ erinnernden Raumkonstruktion durchdrungen wird. Bei dem Vorschlag zur temporären Installation wäre das 1. Stockwerk für die BetrachterInnen nur innerhalb dieser Form begehbar, der visuelle und unmittelbare Zugang zur Wabenfassade von Innen unmöglich. Lediglich ein verzerrter Blick durch eine Gewebe-Gaze oder alternativ, die komplette Ausblendung der Wabenfassade durch eine Trockenbau-Wand, wären erlebbar.
Die Idee zu diesem Entwurf ist der Versuch, den ikonischen Status der Wabenstruktur und des Gebäudes durch partielles ausblenden beziehungsweise unsichtbar-machen zu hinterfragen, um eine Distanz zwischen Betrachter und Teilen des architektonischen Objekts herzustellen. Bei diesen Überlegungen gehe ich davon aus, dass PassantInnen und BesucherInnen des Hauses das Bild der Wabenstruktur – als eine Art „Nachbild“ – in sich tragend mitnehmen. Worauf gründet sich folglich die Wahrnehmung eines Gebäudes, als Teil des Stadtgefüges und öffentlichen Raums und verleiht diesem einen repräsentativen Stellenwert? Wie ist das Wesely-Haus im Sinne einer heterotopologischen Denkweise zu interpretieren, nach der das Autohaus als „Display“ für Automobile im Zusammenhang mit der Massenmobilisierung der Nachkriegszeit errichtet wurde und, da sich die „architektonischen Moden“ mittlerweile geändert haben, letztlich aus dieser Funktion herausgefallen ist? Diese Themen durch die Rezeption der BetrachterInnen „verhandeln“ zu lassen, wären das Ziel einer solchen Installation.
Raumteilungen/ im Grundriss der Dachfläche
Die Ergebnisse der Raumteilungen des 1. Stockwerks habe ich auf den Grundriss der Dachfläche übertragen. Die hierbei entstandenen Entwürfe setzten sich jedoch weniger mit den Bewegungs- und Nutzungsmöglichkeiten innerhalb möglicher Raumstrukturen auseinander, als vielmehr mit dem Thema einer baulichen und konstruktiven Erweiterung des Gebäudes in bisher unbebautem Terrain.
Markantestes Detail bei diesen Entwürfen ist hierbei die über den bestehenden Gebäudekörper hinausragende Ausdehnung der zu nutzenden Dachfläche. Möglich geworden ist dies durch einen dreieckigen Grundstücks-Keil, der, als Resultat einer neu gezogenen Grundgrenze, die Möglichkeiten zur baulichen Veränderung des Wesely-Hauses strategisch erweitert hat. Die „neue Grundgrenze“ hat mich zunächst formal, aufgrund ihrer grafischen Qualität interessiert und ich habe diesen Aspekt in einer Reihe von Skizzen thematisiert. In gleicher Weise bin ich mit der, das Bauen in die Höhe limitierenden baurechtlichen Gebäude-Obergrenze verfahren. Als nicht zu umgehende „territoriale“ Parameter erweiterten beide meine raumstrategischen Fragestellungen um Aspekte, mit denen ich als Künstler normalerweise nicht konfrontiert bin.
Neben diesem Teilaspekt, aus dem heraus utopische Skizzen im „unmöglichen Raum“ resultierten, habe ich versucht das Verhältnis von alten und neuen Gebäudeteilen zu bestimmen. Endeten die Begrenzungen eines zukünftigen Dachaufsatzes zunächst bündig mit denen des Unterbaus und der Wabenfassade, habe ich diesen bei fortschreitender Arbeit leicht gegen den Unterbau verdreht. Diese Vorgehensweise impliziert eine weitere Positionierung hinsichtlich der Frage, wie sich bauliche Veränderungen zu der vorhandenen Gebäudestruktur verhalten. Konkret: Ragen sie über diese hinaus oder springen sie zurück? Wie lässt sich dieses Verhältnis im Innenraum über die einzelnen Stockwerke fortsetzen und darstellen?
Dachaufstockung/ Extension im Aufriss
Die Entwicklung von Flächenteilungen auf dem Dachgeschoss führte zwangsläufig zu Überlegungen, wie sich diese im Fassaden-Aufriss und als dreidimensionale Baukörper im Modell darstellen lassen. Sich aus dem Entwurfsprozess entwickelnd, überschritt meine Projekt-Studie zunehmend die Grenzen der Kunst und bewegte sich hin zu einer architekturspezifischen Darstellung.
Hierbei erschien es mir uninteressant, die quasi in den Gebäudekörper eingeschriebene, einfache Stahlbeton-Struktur aus Pfeilern, Unterzügen und Deckenplatten als Aufstockung in der Höhe fortzusetzen. Dies wäre die übliche, weil einfachste, bei Planung des Hauses perspektivisch angelegte Vorgehensweise. Meine Ideen zur Extension des Wesely-Hauses gehen dagegen von keinem geschlossenen Baukörper aus, sondern von räumlich getrennten Modulen. Einzelne „Units“ werden auf die Dachgeschoss-Fläche aufgesetzt, wobei diese unabhängig von der Stahlbeton-Struktur positioniert werden können. In den Darstellungen der „Units“ als Fassaden-Aufrisse und Modelle wird deutlich, wie sich deren formale Gestaltung aus der oben beschriebenen Fragmentierung eines Wabenelementes entwickelte.
Struktur und Konstruktion/ als raumteilendes Motiv
Neben der Analyse der Grundrisse und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten zur Flächenteilung und Aufstockung des Gebäudes, habe ich einen zweiten großen Themenkomplex bearbeitet, der sich mit der Interpretation der ins Raster gesetzten Stahlbeton-Struktur des Hauses durch Projektion, Spiegelung, Teilung und Drehung beschäftigt. In dieser Vorgehensweise kommt eine kritische Distanz zum architektonischen Inventar des Hauses, insbesondere zu der alles dominierenden Wabenfassade zum Ausdruck. Das Motiv einer Reflektion des Vorhandenen bei gleichzeitiger Nutzbarmachung, ohne dabei als Paraphrase im Raum stehen zu bleiben, tritt produktiv werdend in den Vordergrund.
Die Entwicklung von Raum-Kompartimenten, deren eher offene und fließende Begrenzungen sich zum Beispiel aus einer Doppelung von Pfeilern und Unterzügen, bei anschließender Drehung im Raum ergeben, führt zum Aufbrechen des orthogonal auf die Wabenfassade ausgerichteten Raum-Rasters. Hierbei thematisiert sich konkret das räumliche Erleben und die Befindlichkeit der BenutzerInnen im Raum, weniger das der visuellen Erscheinung des Wesely-Hauses im Stadtbild.
[1] wie z.B. die „Horten-Kachel“ der ehemaligen Kaufhaus-Kette Horten
Christian Helwing - Krems, September 2018
Ausschnitt aus der Präsentation vom 25. September 2018
Film: © Heidrun Schlögl
Bilder: © Christian Helwing
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