Mitglieder im Gespräch
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
weiterlesen …Dorothea Pfaffenbichler-Beaumont im Gespräch
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Frau Pfaffenbichler-Beaumont, wie sind Sie auf ORTE aufmerksam geworden und wie lange sind Sie sozusagen schon dabei?
Eigentlich ziemlich von der Gründung an, informiert durch das Studium an der TU-Wien und durch die Teilnahme einiger Professoren (Hans Puchhammer, Ernst Hiesmayr, Anton Schweighofer, Gustav Peichl) und ehemaliger Assistenten (Ernst Beneder, Alois Neururer), sowie aufgrund meiner damaligen hohen Präsenz im Raum Krems, wo mehrere Veranstaltungen und Exkursionen stattfanden (Bauvisiten im Hotel Klingelhuber, in der Hendriks Bar, Kazuo Shinohara-Ausstellung).
Zu den gegenwärtigen Umständen: Wie geht es Ihnen persönlich bei der praktischen Ausführung Ihrer Arbeit in dieser Krisensituation?
Eigentlich sehr gut! Persönlich habe ich gemeinsam mit drei bis vier weiteren KollegInnen unseren Bürostandort „belebt“ und mich auch wieder Dingen gewidmet, die schon lange darauf gewartet haben, in Angriff genommen zu werden. Das gesamte restliche Team konnte innerhalb nur eines Tages sehr erfolgreich den Home-Office-Modus antreten, Videokonferenzen ins Leben rufen und ganz neue innovative Impulse für unsere zukünftige Arbeitsweise entwickeln.
Welche Auswirkungen hat die COVID-19-Krise unmittelbar auf das Baugeschehen; was bedeutet sie für Architektur und Baukultur, so sie länger andauern sollte? Wird Ihrer Einschätzung nach etwas anders sein, wenn diese schwere Zeit überstanden ist?
Unmittelbar geht es vor allem um das Einstellen diverser bereits laufender Baustellen. Betroffen sind allerdings auch Projekte, die noch in der Planungs- bzw. Abstimmungsphase sind und jetzt mit Verzögerungen seitens der InvestorInnen und EntscheidungsträgerInnen einhergehen, bzw. auch auf ungewisse Zeit hinausgeschoben werden.
Eine Veränderung bewirkt jede Krise ... und hoffentlich auch eine Chance ... vor allem eine globale, wie es derzeit COVID-19 ist.
Warum sind Sie Architektin geworden? Erinnern Sie sich an den ersten Impuls, der zu Ihrer Berufswahl geführt hat?
Aufgewachsen in einer sogenannten „Architektenfamilie“ – der Großvater war Innenarchitekt und Tischler, drei seiner Söhne Architekten und Baumeister – wurden uns Kindern schon von früh an fast spielerisch sowohl die Natur, als auch das bewusste Wahrnehmen von Proportionen, Materialien, Verarbeitungen, von Raumbildung, Plätzen und der Bezug zum Außenraum vermittelt. In ihren Bann gezogen haben mich dabei schon immer sehr schlichte, einfache Formen (wie Heuschober, romanische Kapellen, Bauten der klassischen Moderne). Dem Impuls, mich ganz der Architektur zu widmen, bin ich allerdings erst im zweiten Anlauf gefolgt, nachdem ich zunächst mein Interesse an Naturwissenschaften in Form eines (Teil-) Pharmaziestudiums ausgelebt hatte.
Wie erleben Sie es im beruflichen Alltag, als erfolgreiche Frau in einem noch immer männerdominierten Berufsstand tätig zu sein?
Die eigene Kompetenz anfänglich unter Beweis zu stellen, ist generell der erste Schritt. Das folgende, rein berufliche Zusammenarbeiten erlebe ich dann zum größten Teil auf gleicher Augenhöhe, das soziale Netzwerken aber ist im Bauwesen weiterhin sicher vor allem männlich dominiert.
Selbst wenn alle praktischen Umstände für die Umsetzung stimmten - gibt es eine Bauaufgabe, die Sie dezidiert ablehnen würden?
Schlachthöfe, Betriebe für Massentierhaltung, …, all jene Bauaufgaben, deren einziger Zweck es ist, Leid zu verursachen.
Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert? Den Besuch welchen Gebäudes würden Sie Architekturaffinen empfehlen?
Da wäre zum einen das Teshima Art Museum von Ryūe Nishizawa (SANAA) in Japan - ein für mich unglaublich faszinierender Ort von Einfachheit und Stille, der Verbundenheit von Natur - Architektur - Skulptur und Kunst und sinnlichem Erleben.
Etwas mehr „um die Ecke“ liegt das Bürgerservicecenter in Böheimkirchen von Sasha Bradic, das mir sowohl als gelungenes Konzept, als auch durch sehr detaillierte und präzise handwerkliche Ausführung in positiver Erinnerung geblieben ist.
Und immer wieder einen Besuch wert ist das Festspielhaus in St. Pölten von Klaus Kada.
Wie schätzen Sie Dynamik und Qualität des heimischen Architekturschaffens ein - im Vergleich mit anderen europäischen Ländern?
Positive Dynamik und Qualität sind in Teilen Österreichs sicher gut vorhanden, leiden allerdings nicht selten an der mangelnden Bereitschaft, den Architekturschaffenden genügend Vertrauen entgegenzubringen und den Mut aufzubringen, visionäre Gedanken, Ansichten und Lösungen mitzutragen und umzusetzen. Im europäischen Vergleich vermisse ich bei uns die Großzügigkeit bei gewissen Bauvorhaben sowie gut überlegte, visionäre städtebauliche Lösungen und das selbstverständliche Einbeziehen von Kunst.
Zur regionalen Situation in Niederösterreich, was sind die dringendsten Fragen, auf die die Architektur in den nächsten Jahren wird Antworten liefern müssen?
Vor allem die städtebaulichen und raumplanerischen Anforderungen sind es, die dringend zu überdenken sind, um umfassende Konzepte für eine auch weiterhin lebenswerte Umwelt zu entwickeln. Der Wohnbau wird sich mit Themen wie Home-Office und privaten Freiräumen auseinanderzusetzen haben, und eine möglichst große Flexibilität von öffentlichen Gebäuden, wie Schulen, Bürohäusern und auch Gesundheitsbauten, wird notwendig sein, um Veränderungen, Weiterentwicklungen und noch unbekannte erforderliche Maßnahmen rasch und nachhaltig zu ermöglichen.
Und noch lokaler - nachdem St. Pölten doch nicht Kulturhauptstadt Europas geworden ist, welche konkreten Impulse sollten in der Landeshauptstadt im Architekturbereich längerfristig gesetzt werden, angesichts der Dringlichkeit eines klima- und zukunftstauglichen Bauens?
Klima- und zukunftstaugliches Bauen sollte grundsätzlich nicht nur anlassbezogen für ein temporäres Ereignis forciert werden. Die Überhitzung unserer Städte, die überforderten kommunalen Infrastrukturen bei Starkregen und das riesige Ausmaß an ständig wachsenden versiegelten Flächen brauchen neue Antworten. In Zusammenarbeit mit der BOKU Wien und einem heimischen Gartenbaubetrieb erproben wir permanent erfolgreiche neue Lösungen für diese Herausforderungen. Behördlich verordnete Gründächer, Großbaumpflanzungen auf Flächen des ruhenden Verkehrs sowie Retentionsflächen als „DrainGarden“ ausgeführt, wären wichtige und richtige Schritte für die Zukunft.
St. Pölten könnte und sollte sich diesbezüglich positionieren und somit dem Nimbus einer „grünen Stadt“ mit weiteren neuen Projekten gerecht werden. Gemäß internationaler Vorbilder könnte sich die Stadt zur Traisen hin öffnen und dort weiteren genussvollen Lebensraum schaffen.
Was meinen Sie, ist Baukultur? Welchen Stellenwert hat sie oder sollte sie in unserer Gesellschaft haben, und wie dafür sensibilisieren?
Ein sehr komplexer Begriff, umfasst er doch unsere gesamte erlebte Umwelt! Darin fließen ein das historische und das aktuelle Baugeschehen im städtebaulichen Kontext, in Konsens mit der Natur, mit regionalen Gegebenheiten und Traditionen sowie die Verwendung landesüblicher Materialien und Maßstäbe. Beachtung verdienen die Visionen früherer Bauperioden und das Bemühen, jene der eigenen Epoche qualitativ hochwertig umzusetzen. Der Stellenwert der Baukultur ist für uns alle ein maßgeblicher und sollte von Kindesalter an durch Erkennen und bewusstes Erleben vermittelt und gefördert werden.
Welche Rolle spielen Architekt:innen heute in der Gesellschaft?
Meiner Wahrnehmung nach eine sehr veränderte! Die Wertschätzung gegenüber kreativer, komplexer geistiger Tätigkeit wandelt sich unglücklicherweise, wird unsere Arbeit doch mehr und mehr verstanden als eine Art Dienstleistungserbringung.
Welche „Tugenden“ sollten Architekt:innen erfüllen?
Wichtige Tugenden sind für mich Idealismus und die Bereitschaft, mit großem Einsatz mutige Antworten auf die sozioökologischen Herausforderungen unserer Zeit zu finden.
Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur einnehmen? Was wünschen Sie sich von deren Seite - kurzfristig im Hinblick auf die momentane Krisensituation, aber auch im Bestreben um ein längerfristiges gedeihliches Zusammenwirken?
Grundsätzlich gilt es, Rahmenbedingungen festzulegen, die visionäres Arbeiten und zukunftsorientiertes Bauen ermöglichen. Voraussetzung für ein gedeihliches Miteinander sind interessiertes Zuhören, Vertrauen, Wertschätzung und Respekt.
Die noch nicht abschätzbaren Auswirkungen der derzeitigen globalen Krise erfordern seitens der Politik sicher viele neue - und wahrscheinlich auch unkonventionelle - Maßnahmen zur Konjunkturbelebung, dabei stellt die Bauwirtschaft sicher eine der primären Herausforderungen dar.
Kann Architektur die Welt verbessern?
JA! …sie kann. Jeder Ort beeinflusst direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst sein unmittelbares Umfeld. Somit können qualitätvolle Architektur und der „Zwischenraum“ maßgeblich zur menschlichen Zufriedenheit beitragen.
Welchen Rat wollen Sie ORTE auf den weiteren Weg mitgeben?
Bitte nicht müde werden!
Dorothea Pfaffenbichler-Baumont - Pfaffenbichler Architektur, Juli 2020
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