Mitglieder im Gespräch
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
weiterlesen …Raphael Siebert im Gespräch
Herr Siebert, Sie haben sich als Vertreter eines noch jungen Büros dazu entschlossen, Mitglied bei ORTE zu werden. Wie sind sie auf uns aufmerksam geworden und was hat Sie dazu bewogen, dem Architekturnetzwerk beizutreten?
Für ein kleines Architekturbüro ist es wesentlich, nicht nur einen architektonischen Willen zu verfolgen, sondern sich auch mitzuteilen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. ORTE ist mir schon länger bekannt gewesen, und nun war es an der Zeit, ein Teil davon zu werden.
Zu den gegenwärtigen Umständen: Wie geht es Ihnen persönlich bei der praktischen Ausführung Ihrer Arbeit in dieser Krisensituation?
Die Zeit konnte weiterhin für die Planungsarbeit genutzt werden, allerdings wurden die Baustellen größtenteils eingestellt - zumindest zeitweise. Dadurch stand mehr Zeit zur Verfügung als vorher, welche neu strukturiert werden musste mit Homeoffice, Kinderbetreuung, Kochen, alternativen Freizeitaktivitäten oder anderen Dingen – und das war in der Tat herausfordernd. In Erinnerung bleiben wird uns die Coronazeit wohl allen als eine Zäsur, die die Chance auf andere Sichtweisen geboten hat und die Konzentration auf das Wesentliche ermöglicht hat.
Welche architektonischen Aufgaben beschäftigen Sie beruflich gerade konkret?
Meine Vorgeschichte bringt mich zu den unterschiedlichsten interessanten Aufgaben, die teilweise nur am Rande mit dem gestaltenden Teil der Architektur zu tun haben. Im Moment wickle ich für einen deutschen Betreiber dessen Baustellen in Zusammenarbeit mit den Wiener Linien ab. Auch planen wir gerade an einem kleinen, feinen Dachgeschossausbau im 8. Bezirk in Wien, und daneben beschäftige ich mich mit einem Revitalisierungsprojekt einer großen Industrieanlage im Süden von Wien.
Was glauben Sie - welche Auswirkungen hat die COVID-19-Krise unmittelbar auf das Baugeschehen; was bedeutet sie für Architektur und Baukultur, so sie länger andauern sollte; wird Ihrer Einschätzung nach etwas anders sein, wenn diese schwere Zeit überstanden ist?
Die vielen prekären Arbeitsverhältnisse, die es leider noch viel zu häufig in der Planungsbranche gibt, rücken in letzter Zeit mehr und mehr ins Licht der Öffentlichkeit, was hoffentlich positive Auswirkungen auf die soziale Absicherung der Betroffenen nach sich ziehen wird. Des Weiteren: eine erhöhte Nachfrage nach halböffentlichen und privaten Grünräumen hat sich schon in den letzten Jahren positiv auf den Wohnbau ausgewirkt, das hat sich nun zusätzlich verstärkt. Allerdings funktioniert es nur, wenn auch BauträgerInnen beteiligt sind, die diesen Bedarf anerkennen.
Warum sind Sie Architekt geworden, erinnern Sie sich an den ersten Impuls, der zu Ihrer Berufswahl geführt hat?
Der Grund für mein Studium hat sich bereits in der 7. Klasse des Gymnasiums deutlich herauskristallisiert, wobei ich anfänglich eigentlich Innenarchitektur studieren wollte. Während meiner Architekturlaufbahn hatte ich dann einige sehr umfangreiche Projekte abzuwickeln; Projektgrößen, die die konsequente Umsetzung von Architektur auch im Inneren zulassen, sind mir dabei aber immer noch am liebsten.
Wenn Sie nicht Architekt geworden wären, wohin hätte Sie Ihre Leidenschaft beruflich sonst geführt?
Ein handwerklicher Beruf, wie Koch oder Tischler, hat mich immer schon gereizt, und auch jetzt halte ich es für wesentlich, den Bezug zur handwerklichen Umsetzung nicht zu verlieren. Nicht zuletzt deswegen halte ich mich gerne auf den Baustellen auf, um mit den Ausführenden konkret auftretende Probleme vor Ort zu besprechen.
Was würden Sie gerne planen oder gestalten, völlig ungeachtet dessen, ob es realistisch oder realisierbar ist?
Die Revitalisierung eines Bauwerks mit Geschichte, das mit sorgfältigen technischen Maßnahmen und sensibel gestalteten Einbauten neu nutzbar wird, reizt mich immer wieder, egal ob das ein Gründerzeithaus, eine Kirche oder ein Schloss wäre.
Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Im Prinzip ist jedes gebaute, beziehungsweise umbaute Stück Raum Architektur. In diesem Sinne halte ich es für wesentlich, sich als Architekt:in nicht über die „naive“ Architektur in unserem Land zu stellen, sondern vielmehr daraus zu lernen.
Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Mehrere Jahre habe ich bei Bodo Rasch und Frei Otto gearbeitet, von Stuttgart aus haben wir Segeldächer rund um die Welt und vor allem für den arabischen Raum entworfen und aufgebaut. Das war eine extrem spannende Zeit - durch das Lernen bei und von solchen großen Persönlichkeiten und durch die Verwendung des neuen textilen Baustoffes. Neue Materialien bereichern die Architektur, sie müssen aber auch intelligent eingesetzt werden.
Was meinen Sie, ist Baukultur? Welchen Stellenwert hat sie oder sollte sie in unserer Gesellschaft haben?
Das Wort Baukultur beinhaltet ja „gebaute Kultur“ und besagt damit schon dem Namen nach, wie wichtig diese für unsere Gesellschaft ist. Das Interessante an einer Bauaufgabe ist, dass - neben der bauphysikalischen Schutzhülle und der Nutzung, die geboten werden - in jedem Fall ein Teil der Baukultur neu mitentsteht. Umso wichtiger ist es, diesen Aspekt in den Vordergrund zu rücken, leben wir doch alle in einer gebauten Umwelt und werden durch sie unausweichlich beeinflusst. Nur leider kommt das in der Politik viel zu kurz, wo oft nur wirtschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.
Welche Rolle kommt dabei Architek:innen in der Gesellschaft zu?
Architekt:innen zählen zu jener Personengruppe, die den zuvor beschriebenen Sachverhalt nicht nur erkennen, sondern auch verstehen und in ihre Arbeit unmittelbar einfließen lassen können. Es gibt viele Kolleg:innen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür kämpfen, ein positives Umfeld für die Nutzer:innen und damit die Gesellschaft zu planen und umzusetzen. Die Rahmenbedingungen dafür sind allerdings denkbar schlecht, große BauträgerInnen drücken das Planungshonorar und nutzen den vorhandenen Idealismus der ArchitektInnen schamlos aus.
Nachdem Sie auch über internationale Erfahrung im Baugeschehen verfügen - Wie schätzen Sie Dynamik und Qualität des heimischen Architekturschaffens ein, im Vergleich mit anderen europäischen Ländern?
Die ist in Österreich wirklich hervorragend. Viele kleine, kreative Büros in unserem Land machen sich gegenseitig Konkurrenz und bringen tolle, innovative, ja international beachtete Architektur hervor. Zum Teil warten allerdings die Ergebnisse auch mit reißerischen Gestaltungsextremen auf, die langfristig keinen Bestand haben werden. Zudem ist anzumerken, dass durch die starke Konkurrenz die wirtschaftliche Kraft der einzelnen Architekturbüros leidet und große Projekte nur gemeinsam mit den immer stärker werdenden Ingenieurbüros und bauaffinen Planungsbüros möglich sind.
Und zur regionalen Situation in Niederösterreich: was sind die dringendsten Fragen, auf die die Architektur in den nächsten Jahren wird Antworten liefern müssen?
Wie kann der vorhandenen Landflucht entgegengewirkt werden? Jedes einzelne Dorf hat seine Qualität, die zum Teil auch von manchen Jungunternehmer:innen, die wieder in schrumpfende Regionen ziehen, erkannt wird. Solche Initiativen gehören gefördert und vermehrt. Eine weitere wichtige Maßnahme zur Stärkung von Dorfzentren wäre, den Einkaufszentren an den Rändern weniger Chance zu geben. Ich glaube aber, dass die Möglichkeiten hierbei einzuwirken für die Architektur beschränkt sind und vielmehr die Politik gefragt ist. Hier ist jeder einzelne Bürgermeister, jede Bürgermeisterin anzusprechen und quasi an der Hand zu nehmen, um Entscheidungen entgegenzuwirken, die die Landflucht zusätzlich fördern. Ein verpflichtender architektonischer Beirat, gegebenenfalls mit mehreren Architekt:innen besetzt, würde hier hilfreich sein.
Nachdem St. Pölten doch nicht Kulturhauptstadt geworden ist, welch konkreter architektonisch, städtebaulicher Impuls sollte in der Landeshauptstadt dennoch gesetzt werden im Hinblick auf ein klima- und zukunftstaugliches Bauen?
Manchmal meine ich, Krems zeigt St. Pölten vor, wie man zur „inoffiziellen Kulturhauptstadt“ wird. St Pölten ist eine noch junge Stadt, die ihr Potential auch an bestehender Architektur nicht verspielen sollte. Geschichte kann man nicht kaufen.
Was wünschen Sie sich von ORTE als Baukulturvermittlungseinrichtung, welche Themenschwerpunkte würden Sie in unserem Programm forciert sehen wollen?
Wie kann Architektur stärker im Alltag ankommen? Welche politischen Maßnahmen sind erforderlich, um das Verständnis für bestehende Baukultur und neue Architektur zu fördern? Eine positive, durchaus auch politische Einflussnahme in diese Richtungen würde ich mir wünschen.
Raphael Siebert - Architekturbüro mack4arch, Mai 2020
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
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