Eigentlich fing alles ganz harmlos an: Christian Berkes und Sophie Wohlgemuth, die Sommer-Artists in Residence, hatten Anfang Juli für die Sparte Baukultur ihr Atelier auf der Kunstmeile bezogen und in Aussicht gestellt, sich mit der Walter Zschokke Bibliothek auseinanderzusetzen. So weit, so cool.
Das Vorhaben „Die Fantasien der Architekturbibliothek“ entwickelte sich rasch. Die Walter Zschokke Bibliothek wurde nicht nur durch die beiden Hauptakteur:innen des Verlagsprojekts botopress besetzt, sondern zunehmend auch von anderen Personen, Gegenständen, Büchern und Ideen. Das Projekt brachte gleich mehrere Veranstaltungen in die ORTE-Räume. Kaum angekommen, luden Berkes und Wohlgemuth alle anwesenden Artists zu einem ersten „konspirativen“ Dinner in die Walter Zschokke Bibliothek ein, dem bald zwei Filmabende folgten. Die Buchpräsentation des Künstlers Erik Göngrich Atlas of Sculptural Situations bildete wenig später ein erstes Highlight. Vorgestellt durch EECLECTIC-Verlegerin Janine Sack, die auf Einladung der beiden ebenfalls angereist war.
Und dann verstanden wir langsam (gemeint sind wir von ORTE): Das stringente Element dieses umfangreichen Artists-Projekts bildete nicht, wie wir meinten, ein Buch oder mehrere. Auch nicht ein Diskurs. Nein. Es war Sauerteig. Besser gesagt „die Sauerteig Walter“ (bewusst gegendert). Walter (der Name leitet sich von der Walter Zschokke Bibliothek ab) wurde von Sophie Wohlgemuth ins Leben gerufen und über zwei Monate hinweg „gefüttert“, belesen, später gebacken und verzehrt – es war der Inbegriff von Fürsorge-Arbeit.
Aus dieser sagenhaften AIR-Zeit, die Berkes und Wohlgemuth auch nutzten, um kurzerhand das fast weltumspannende Künstler:innenkollektiv In The Middle of Nowhere mit sechs anderen Artists aus verschiedenen Disziplinen zu gründen, sollen hier zwei ihrer bemerkenswertesten Performances hervorgehoben werden, die ohne Sauerteig – und die beiden – nie hätten stattfinden können:
Da war zunächst eine sechsstündige Brotbesprechung (The Sourdough Readings) von Sophie Wohlgemuth mit Texten über Care-Arbeit, Feminismus und Empowerment. Walter Zschokkes unvergleichlicher Text „Pflegen und Unterlassen“, der sich behutsam dem alten Deckel eines Butterfasses zuwendet, wurde gleich zweimal rezitiert und bildete die Klammer zur Lesung innerhalb der Performance-Serie Caring is Scary, in der u. a. Beiträge von Tian Zhang, Audre Lorde, Joanna Zylinska und Eva Illouz vorgetragen wurden. Wer sich diesem Marathon an Gedankengut hingab, wurde nicht nur reicher an Erkenntnis, sondern auch hart mit seinem Konzentrationsvermögen konfrontiert und konnte zusehen, wie Sauerteig Walter wuchs. Ein Erlebnis!
Sauerteig war auch das verbindende Element der Performance No Broken Brick. Berkes und Wohlgemuth schufen damit eine Skulptur aus Backsteinen und verwendeten anstelle des herkömmlichen Mörtels Sauerteig zur Festigung. In einem Zeitraum von 18 Stunden bereiteten sie dafür ein steiniges Terrain vor der Landesgalerie Niederösterreich auf, bauten auf … und bauten wieder ab. Mit dieser Tour de Force loteten sie einmal mehr ihre Grenzen aus, verbanden den Bau einer Mauer mit Beziehungsarbeit und sorgten für regen Austausch (und vielleicht auch für Erstaunen) unter den Passierenden auf der Kunstmeile. Einige Fragen und Eckdaten zu dieser Performance wurden auch im Infoblatt festgehalten.
Wem nun noch nicht recht klar ist, was denn nun Sauerteig mit Care-Arbeit oder gar Architektur zu tun haben kann, dem bietet dieses Gespräch mit den Künstler:innen die Gelegenheit, in ihre Konzepte wie Gedankenwelten tiefer einzutauchen. Es lohnt sich, zuzuhören!
PS: Der Verband der Österreichischen Ziegelwerke und Wienerberger waren für No Broken Brick überaus hilfreiche wie wertvolle Partner, weil sie rasch und unkonventionell das Material bereitstellten, anlieferten und dafür Sorge trugen, dass die zuerst neuen, dann gebrauchten Ziegel am Bauhof der HTL Krems den Schüler:innen für Lernzwecke zur Verfügung gestellt werden konnten. – Zweifellos ein ungewöhnliches Cradle-to-Cradle-Projekt. Der gleiche Dank gilt dem Team der Kunstmeile für die unbürokratische Ermöglichung. Danken möchten wir auch der NÖ Landesregierung, die mit dem seit über 20 Jahren bestehenden AIR-Programm wertvolle künstlerische Labor-Arbeit ermöglicht, die seinesgleichen sucht. Und ohne die Kolleg:innen, die das AIR-Programm leiten, würde es schon gar nicht gehen. Last but not least unser tiefster Dank an Christian und Sophie und die anderen Artists, die hier genannt werden müssen (!): Sid Fiore Branca, Adam Greteman, Inès Lisser, Sandile Radebe, Désirée Saarela und Laurynas Skeisgiela - ihr seid unser Dorf!
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ARTIST IN RESIDENCE
ORTE ist Projektpartner des „Artist in Residence“-Programms des Landes Niederösterreich. Seither haben sich zahlreiche internationale Architekt:innen, Landschaftsplaner:innen, Fachautor:innen und Kunstschaffende in Krems mit Baukultur beschäftigt.
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Sauerteig – Architektur als Care-Arbeit
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