Christine Lechner
im Gespräch
Liebe Christine Lechner: Wie bzw. wann bist du auf ORTE aufmerksam geworden und wie lange bist du schon dabei?
ORTE kenne ich schon seit meinem Architekturstudium, wo ich immer wieder darauf gestoßen bin, nachdem ich selbst in Niederösterreich aufgewachsen bin und auch heute noch einen Wohnsitz dort habe. Meinen ersten persönlichen Kontakt hatte ich im Zuge der Recherche zum Dokumentarfilm „So wohnt Niederösterreich“, bei dem ORTE bei der Auswahl der gezeigten Objekte hilfreiche Dienste geleistet hat. Mitglied bin ich seit September 2022.
Du bist Teil des Vereins „Netzwerk Lehm“. Was ist das Ziel eures Vereins?
Unser Ziel ist es, den Lehmbau in Österreich in Theorie und Praxis zu fördern. Dabei legen wir besonderen Wert darauf, am Baustoff Lehm interessierte Personen und Unternehmen sowohl auf österreichischer als auch auf europäischer Ebene zu vernetzen.
Woher kommt dein Interesse für diesen Baustoff?
Erstmalig richtig in Berührung – und das im wahrsten Wortsinn – kam ich mit dem Baustoff Lehm bei einer Architekturexkursion in den Iran, wo ich selbst meine ersten Lehmziegel hergestellt habe. Seither faszinieren mich die positiven Eigenschaften von Lehm: raumklimaverbessernd, wärmespeichernd, schallisolierend, temperaturausgleichend und vor allem recyklierbar. Lehmbauten sind die besten Beispiele für das cradle-to-cradle-Prinzip.
Was würde deiner Meinung nach Planer:innen bei der Anwendung von Lehm als Baustoff unterstützen?
Wir brauchen sicherlich Normen und Richtlinien, die den Planer:innen Werkzeuge für die Verwendung des Baustoffs in die Hand geben. Darüber hinaus bedarf es Fachvorträgen, Exkursionen zu gebauten Beispielen und jedenfalls ein Mehr an mit dem Baustoff vertrauten Handwerker:innen. Im Moment ist das Netzwerk Lehm dabei, eine Ausbildungsschiene für Interessierte – dazu gehören sicherlich auch Planer:innen – aufzubauen. Und am 24. März veranstaltet das Netzwerk Lehm die 2. Österreichische Lehmbautagung im Architekturzentrum Wien, bei der all diese Fragen diskutiert werden.
Du hast vor deinem Architektur- ein BWL-Studium absolviert. Wie wirkt sich dieses Doppelstudium auf deine Perspektive auf Architektur aus?
In der BWL geht es in erster Linie um Gewinnmaximierung, in der Architektur um die Gestaltung von Raum. Hier zeigt sich aber immer deutlicher ein Ungleichgewicht, wie es Phyllis Lambert, eine kanadische Architektin treffend beschreibt: „Früher war Architektur Kunst und Wissenschaft, heute ist es nur noch Business. Und das bedeutet: Game over.“ (aus dem Dokumentarfilm „City Dreamers“)
Seit 2013 gestaltest du gemeinsam mit Thomas Zeller (Filmgut) auch Dokumentarfilme im Architekturbereich. Kannst Du uns etwas über die unterschiedlichen Filmformate, aber auch die Bedeutung von Architektur im Film erzählen?
Zum einen gestalten wir Langdokumentarfilme für eine Kino- und TV-Auswertung und daneben auch kürzere Formate, die ausschließlich für das Fernsehen vorgesehen sind. Filme mit architektonischem Inhalt sehe ich immer auch als wichtiges Vermittlungswerkzeug und wenn ich darin gute Beispiele sehe, machen mich diese hoffnungsvoll. Obwohl sich die Situation in den letzten Jahren etwas gebessert hat, wird der Architektur bzw. Baukunst im österreichischen Fernsehen leider keine allzu große Bedeutung beigemessen. Das sollte sich auf alle Fälle ändern.
Mit welchen Aufgaben setzt du dich derzeit beruflich auseinander?
Seit diesem Jahr leite ich gemeinsam mit Barbara Libert das Architekturfestival OPEN HOUSE Wien. Eine Aufgabe, auf die ich mich sehr freue, weil gerade die niederschwellige Vermittlung von Architektur für Alle ein zentrales Anliegen unserer Gesellschaft sein muss. Der gebaute Raum ist Teil der Öffentlichkeit und damit Gemeingut. Es gilt, das Verständnis dafür bei möglichst Vielen zu stärken und dafür Sorge zu tragen, mit diesem Gut sorgsam umzugehen.
Darüber hinaus bin ich in der Nachhaltigkeitsberatung im Bau- und Planungsbereich tätig. Eine überaus wichtige, aber auch herausfordernde Aufgabe, weil in den letzten Jahren zu wenig in die richtige Richtung passiert ist, plötzlich aber – vor allem wegen der steigenden Energie- und Rohstoffpreise, aber auch aufgrund politischer Vorgaben, Stichwort: Taxonomie-Verordnung – Vieles in kürzester Zeit verändert werden soll.
Zur regionalen Situation in Niederösterreich: Welche sind die dringendsten Fragen, auf die die Architektur und Raumplanung in den nächsten Jahren wird Antworten liefern müssen?
Die Antworten liegen auf der Hand bzw. sind sie weithin sichtbar: Weiteren Flächenversiegelungen Einhalt gebieten, das Bauen im Bestand erleichtern und aufwerten, attraktive Alternativen zum Einfamilienhaus schaffen und Baukultur, die den Namen auch verdient, fördern und stärken.
Welche Rolle spielen Architekt:innen heute in der Gesellschaft?
Obwohl es immer mehr ausgebildete Architekt:innen gibt, spielen sie in der Planung und im Baugeschehen immer noch eine relativ untergeordnete Rolle. Es fehlt auch vielfach an Wissen, was ein:e Architekt:in wirklich macht, bei eine:r Baumeister:in ist das meist viel klarer, nicht zuletzt auch deshalb, weil diese – vor allem in Landgemeinden – viel präsenter sind.
Den Besuch welchen Gebäudes kannst du architekturaffinen Menschen empfehlen, welches Bauobjekt hat dich persönlich zuletzt begeistert?
Die Idee des verdichteten Flachbaus in Form von Hofhäusern, wie sie beispielsweise von Roland Rainer geplant wurden, sehe ich als eine gute architektonische Lösung als Alternative zum Wohntraum der meisten Österreicher:innen, nämlich dem freistehenden Einfamilienhaus. In Krems findet sich ein sehr gelungenes Beispiel einer Hofhaussiedlung von Ernst Linsberger – die Atriumsiedlung „Am Hundssteig“.
Was wünschst du dir von ORTE? Hast du einen Rat, den du ORTE gern auf den weiteren Weg mitgeben möchtest?
Vermittlungsarbeit zu Architektur, das heißt, darüber zu informieren, was Architektur ist, was sie leisten kann oder auch was Bauen im öffentlichen Raum bedeutet, sehe ich als zentrale Aufgabe des Architekturnetzwerks.
Christine Lechner, im Vorstand von ORTE seit September 2022, im schriftlichen Interview, Februar 2023.
Lechner hat Betriebswirtschaft und Architektur studiert, leitet seit 2023 das Architekturfestival OPEN HOUSE Wien, ist Gründungs- und Vorstandsmitglied im Netzwerk Lehm, bei ICOMOS Austria, dem Internationalen Denkmalrat aktiv und darüber hinaus in der Nachhaltigkeitsberatung tätig. Sie war zudem mehrere Jahre als Dokumentarfilmemacherin tätig, lebt und arbeitet in Wien und NÖ.