Mitglieder im Gespräch
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
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Lieber Ernst Pfaffeneder, wie bist du auf ORTE aufmerksam geworden? Hast du eine Idee wie sich ORTE in baukulturellen Vermittlungsfragen in Niederösterreich einsetzen sollte; oder hast du einen heimlichen Wunsch, welche Themen du aktiv bei ORTE/mit ORTE einbringen möchtest, in welche Richtung du ORTE anstupsen könntest?
Ich kenne ORTE schon sehr lange, verfolge ihren großen Einsatz für Vermittlung und architektonischen Diskurs in Niederösterreich seit Jahren, und ich erkenne auch einen positiven Änderungsprozess hin zur Partnerschaft und Abstimmung mit den politischen Partner:innen und Kommunen in Niederösterreich.
Durch das Vermittlungsprogramm wie die Architekturtage oder die Bauvisiten kommen Interessierte mit bereits umgesetzten, hochwertigen zeitgenössischen Interventionen sowie den Planer:innen und ihren öffentlichen und privaten Auftraggeber:innen an unterschiedlichen Orten in Kontakt – und das öffnet vielen Menschen unbekannte Pforten.
Mehr Aufmerksamkeit müsste man dem ländlichen Raum mit seinen Orten widmen, den räumlichen Gefügen und Siedlungsentwicklungen: die Qualitäten, Identitäten und Potentiale der Orte gemeinsam mit den Verantwortlichen diskutieren, Orte aus ihrer Entwicklung und Veränderung sehen und verstehen lernen. Damit Entscheidungen, wie der zukünftige Lebensraum in Niederösterreich aussehen soll, nicht ausschließlich durch wirtschaftliche, rechtliche oder strategische Motive beeinflusst werden.
Du hast deine berufliche Ausrichtung erst Richtung Denkmalpflege, Restaurierung orientiert. Wie kam es dazu, dass du dann auch Architektur studiert hast? Erinnerst du dich an den Impuls dazu?
Meine Schulzeit im Stift Melk mit seinen beeindruckenden, barock leuchtenden Hallen und Höfen, aber auch den entdeckten geheimen Zwischenräumen hinter den Kulissen, hat bei mir einen räumlichen Begriff von Wahrnehmung und Atmosphäre hinterlassen. Danach folgte in der wunderbaren Schatzkiste der mittelalterlichen Stadt Krems ein praxisorientiertes, technisches Lernen über Methoden der denkmalpflegerischen Praxis im Umgang und in der Verwendung von historischem Material.
Zugang zur zeitgenössischen Architektur fand ich erst im persönlichen Umfeld und durch die Arbeit mit Michael Embacher und Karl Gappmaier – was mich schließlich mit 30 zum Studium an die Technische Universität Wien und in die Hände meines Lehrers András Pálffy führte.
Architektur ist für mich der Überbegriff jeglicher baulicher Intervention geworden; der überlegte, zeitgemäße Eingriff und Umgang mit dem Kontext steht im Vordergrund. Bauen im Bestand heißt: das Gebaute, das Vorhandene denken. Da hilft das Wissen um historische handwerkliche Grundlagen gemeinsam mit zeitgemäßer Interpretation und Abstraktion als Selbstverständnis für die Kontinuität des Bauens.
Wenn du nicht Architekt geworden wärst, wohin hätte dich deine Leidenschaft beruflich sonst geführt?
Eigentlich sah meine Laufbahn einen handwerklichen Beruf vor; ich liebäugelte mit einer Tischlerausbildung – ehrlicher, sichtbarer Arbeit. Nach meiner technischen Ausbildung jedoch begann meine Suche nach größeren, umfassenderen Zusammenhängen, nach Universellerem. Und so führten mich meine Wege in die weite akademische Welt der Architektur. Dort sind genügend andere Leidenschaften und Begierden vereint.
Du bist in der Lehre und in der Architekturpraxis tätig. Was interessiert dich jeweils an diesen sehr unterschiedlichen Feldern, was nimmst du davon mit? Beeinflusst das eine das andere?
Ich bin mir nicht sicher, ob es zwei unterschiedliche Felder sind. In der Lehre, der Entwurfslehre, steht die Untersuchung, die Fragestellung an den vorliegenden Gegenstand im Vordergrund sowie der Argumentationsprozess über die Darstellungen und Modelle. Es ist eine große Reise durch die wesentlichen Aspekte architektonischer Disziplinen: Ort und Kontext, Struktur und Typologie, Raum, Licht und Wahrnehmung. Sowie zu Fragen über Angemessenheit und den sozialen Mehrwert. Die Ergebnisse der Studierendenarbeiten sind Annäherungen, Optionen, Angebote – keine Lösungen. Diese Arbeitsweise trage ich in mein Büro mit. Ich suche meine Gesprächspartner:innen, prüfe meine Ideen, überarbeite diese laufend. Das ist für meine Projektpartner:innen und Auftraggeber:innen manchmal anstrengend und zeitintensiv, jedoch unverzichtbar. Ich leiste mir den – teuren – Luxus des immer Offenen.
Welche Aufgaben beschäftigen dich derzeit beruflich?
Mein noch sehr kleines Portfolio besteht aus oftmals sperrigen Charakteren; bestehenden Architekturen, anonymer Autorenschaft. Eine ehemalige Mühle am Fuße des Jauerling, ein Wehrturm aus dem 16. Jahrhundert mit Wohnungseinbauten aus den 1970ern. Eine dörfliche Intervention und der Umbau eines Hofhauses mitten in einem Angerdorf mit besonders dicken Wänden. Aber auch ein zeitgemäßes Wohnhaus in Holz in einer landwirtschaftlich geprägten Siedlung. Alle diese Aufgaben lösen eine Faszination aus: die Erfahrung der Gestalt und des Raums mit seiner spezifischen Materialität, der Einfluss auf die Umgebung, die Rekonstruktion des Bewährten. Dabei wird Art und Umfang des architektonischen Eingriffs genau abgewogen, den eigentümlichen Charakter des Bauwerks gilt es zu stärken. Das soll einmal meine persönliche Handschrift sein.
Was würdest du – im Zusammenhang mit deinem beruflichen Umfeld – gerne ändern können?
Ich arbeite bei der Entstehung meiner Gebäude mit vielen Menschen; ich suche vor allem Betriebe im regionalen Umfeld. Viele Unternehmer:innen klagen über fehlenden Nachwuchs und das mangelnde Interesse junger Menschen am Handwerk. In meiner kurzen Zeit in Vorarlberg habe ich die Bedeutung des Handwerks und seiner hochwertigen Erzeugnisse entdecken dürfen. Die gelebte Tradition des Handwerks und der Manufakturen, das Bewusstsein und Selbstverständnis des Bauens ermöglicht vielen jungen Menschen berufliche Perspektiven in ihrer eigenen Umgebung und Arbeit für Jahre. Dafür müssen junge Menschen jedoch angesprochen und in den Betrieben gut mitgenommen werden, mit gegenseitigem Respekt und dem vordergründigen Ziel, eine gute Ausbildung zu garantieren, die dann dem Betrieb zur Verfügung gestellt wird oder der eigenen Unternehmensgründung dienen kann. Wir müssen uns dem aktiv widmen: aus jungen Menschen ehrliche, stolze Persönlichkeiten zu machen, ihnen Verantwortung übertragen. Handwerk ist ein hohes Gut und braucht Wertschätzung.
Zur regionalen Situation in Niederösterreich: was sind die dringendsten Fragen, auf die die Architektur und Raumplanung in den nächsten Jahren wird Antworten liefern müssen?
Ich denke, wir müssen uns endlich der Frage der Ressource Boden in den Ortsverbänden stellen. Was ist mit den Leerständen, denen gegenüber die ausufernden Umwidmungen für Neubauten an den Ortsrändern stehen? Was passiert mit den Kernen, den Zentren? Sie haben eine öffentliche Aufgabe, sie sind Orte des Zusammentreffens, des Handels, der Bildung und Kultur – aber vor allem des Wohnens und des gemeinsamen Zusammenlebens der Generationen. Die Stadt Feldkirch hat sich vor Jahren eine „Siedlungsentwicklung nach innen“ verordnet, der Fokus liegt auf der Verdichtung innerhalb der Siedlungsgrenzen und der Nutzung bestehender Infrastrukturen. Das spart Kosten der Erschließung und wertvollen Boden, den Naturraum.
Und es gibt noch andere Fragen, die sich stellen: Welche Identität haben unsere Orte, wer oder was prägt diese? Wo sind die gebauten Zeugen unterschiedlicher Epochen, mit ihren typischen und unverwechselbaren Eigenheiten, die mit den Orten und ihren Bewohner:innen verbunden sind?
Orte sollen durch „Dichte“ lebendig und attraktiv bleiben, ihre individuellen Geheimnisse tragen, ihre Erweiterungen sollen behutsam eingebettet sein, das Vorhandene mit Qualität ergänzt werden. Unsere regionaltypischen Dorfstrukturen sollen durch topografische oder naturräumliche Grenzen klar konturiert sein. Dazwischen bewahren wir das landschaftsgeprägte Umland mit seinen Feldern, Brachen, Gewässern und Wäldern, unsere Lungen, unseren Erholungsraum und vor allem auch den Lebensraum für Tiere.
Das ist mein klares Statement gegen die gesichtslosen, zusammenhängenden Flächensiedlungsentwicklungen um die Ballungsräume, mit welchen wir besonders auch in Niederösterreich konfrontiert sind.
Es ist dringendes Handeln durch die Kommunen geboten, Ziele des gemeinschaftlichen Mehrwerts zu erfüllen; die Interessen Privater sind dahingehend sorgfältig abzuwägen und zu steuern, auch wenn das einigen keine Freude bereiten wird.
Welche Auswirkungen hat die Klimakrise unmittelbar auf das Baugeschehen, was bedeutet sie für Architektur und Baukultur?
Die dringend notwendige Neubewertung von Energieaufwänden und Ressourcenschonung hat sich längst vom Qualitätsanspruch an unseren baulichen Lebensraum verabschiedet. Dieser wird von Interessen der Normierung, Expertentum, industrieller Prosperität und individueller Selbstentfaltung verhandelt, Verantwortungen verwässert oder abgeschoben. Das Ergebnis bläht unsere Gebäude auf, verzerrt seine Proportionen und schmückt sie mit völlig entstellten technoiden Accessoires bis zur Unkenntlichkeit. Bauen ist zur Montage verkommen, seine vorgefertigten Komponenten und Schichten sind völlig vom Gesamteindruck des Bauwerks und seiner Umgebung entkoppelt. Das macht das Bauen fehleranfällig und für seine NutzerInnen nicht mehr nachvollziehbar. Ist das tatsächlich der Weg aus der Klimakrise?
Mein Weg ist die Suche nach Vereinfachung, Reduktion, Wiederverwendung, sorgfältige Einbindung neuer Technologien und der Blick auf die Angemessenheit und Verantwortung um den räumlichen Kontext und Authentizität.
Den Besuch welchen Gebäudes, welchen Ortes kannst du Architekturaffinen empfehlen; welche Stadt oder welches Bauobjekt hat dich persönlich zuletzt begeistert?
Da gibt es zu viele, aber ich mache einen literarischen Vorschlag: Ich lese gerade das Buch „Singende Steine“ von Ferdinand Pouillon über die mittelalterliche Baukunst der Romanik anhand des Klosterbaus von Le Thoronet in Südfrankreich. Ich habe das Kloster heuer besucht. Gebautes, das in seiner Erhabenheit und Würde für die Ewigkeit gedacht ist – das findet man hier. Lebendiger, präzis bearbeiteter und gefügter Stein als puristische Gesamtkomposition eines sakralen Rückzugsortes.
Ernst Pfaffeneder, im Vorstand seit 2021, im schriftlichen Interview, Oktober 2021. Ernst Pfaffeneder hat erst das Fachkolleg für Restaurierung und Ortsbildpflege in Krems besucht und dann Architektur an der TU Wien studiert. Er ist in der Lehre tätig und hat sein eigenes Architekturstudio das sich auf das Bauen im Bestand fokussiert.
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