Mitglieder im Gespräch
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
weiterlesen …Franz Denk im Gespräch
Lieber Franz Denk, Sie sind ja seit vorigem Jahr Mitglied des Vorstands von ORTE – eine Frage zu den Anfängen: Wie sind sie auf ORTE aufmerksam geworden und wie lange sind Sie sozusagen schon dabei?
Franz Denk: ORTE kenne ich schon sehr lange, das reicht bis in die 1990er-Jahre zurück. Der Band „Architektur in NÖ 1986-1997“ und dann die Folgebücher waren bei meinen NÖ-Ausflügen stets ein guter Begleiter. Später war ORTE für mich die Institution, die schon sehr früh das Bauen auf dem Lande als Thema vermittelte. Ich war aber vorwiegend „Konsument“ des Orte-Angebotes.
Warum sind Sie persönlich Architekt geworden? Erinnern Sie sich an den ersten Impuls, der zu Ihrer Berufswahl geführt hat?
Mein Vater ist gelernter Maurer und Steinmetz. Durch ihn habe ich einen Teil meiner Ferialjobs auf dem Bau verbracht, und so habe ich das Bauen sozusagen mit der „Vatermilch“ eingesogen: Ich weiß nicht warum, aber ich habe den feuchten Betongeruch schon immer gemocht, weil er für mich für etwas Faszinierendes steht - für das Bauen; dabei entstehen aus Ideen, Gesprächen und Plänen reale Wände, Räume, ja ganze Gebäude. Damals - das war Ende der 1970er-Jahre - war ich sehr beeindruckt von den aktuellen expressiven Großbauten, beispielsweise dem Pfarrzentrum Braunau von Franco Fonatti oder den Bädern, den Sportstätten und Schulen, die überall gebaut wurden. Otto Wagner hingegen kannte ich nicht einmal. Da ich Talent zum Grafischen hatte, inskribierte ich ohne viel Vorbildung Architektur und blieb dabei.
Wenn Sie nicht Architekt geworden wären, wohin hätte Sie Ihre Leidenschaft beruflich sonst geführt?
Vermutlich wäre ich Pädagoge, vielleicht Historiker geworden. Im Lauf der Zeit lernt man sich ja selbst immer besser kennen, und ich habe festgestellt, dass ich gerne Wissen vermittle, etwa mit Interessierten Stadtspaziergänge mache, gemeinsam Orte erforsche, den Zusammenhängen zwischen Ökonomie, Sozialverhältnissen, Städtebau und Politik nachforsche. Die Geschichte ist extrem lehrreich, man kann aus ihr für die Zukunft unglaublich viel mitnehmen.
Mit welchen Aufgaben setzen Sie sich momentan beruflich auseinander?
Ich beschäftige mich vorwiegend mit Stadtplanung, Stadterneuerung, und Stadterweiterung. Die damit zusammenhängenden Herausforderungen gehen weit über Gestaltungs- und Raumfragen hinaus. Das Bauen stand bei mir meist im Hintergrund, weil ich an die Aufträge nicht herankam, teilweise auch selbstverschuldet, denn ich habe es sehr früh abgelehnt, freistehende Einfamilienhäuser zu planen und damit den klassischen Einstieg verpasst. Ich bin froh, dass die eher kleinen Bauaufträge, die ich zunehmend bekomme, vor allem „Weiterbauten am Bestand“ sind, da fühle ich mich sehr wohl, obwohl der Aufwand ein viel größerer ist als beim Neubau.
Zu den gegenwärtigen Umständen: Wie geht es Ihnen persönlich bei der praktischen Ausführung Ihrer Arbeit in dieser Krisensituation?
Aktuell ist das Büro heruntergefahren und paradoxerweise ist dadurch mein persönlicher Aufwand gestiegen. Ich glaube, dass es ein Leben nach dem Virus noch länger nicht geben wird, dass wir uns vielmehr auf ein Leben mit dem Virus einstellen werden müssen. Ich hoffe, ich kann meine Mitarbeiter:innen halten.
Welche Auswirkungen hat die COVID-19-Krise unmittelbar auf das Baugeschehen? Was bedeutet sie für Architektur und Baukultur, so sie länger andauern sollte? Wird Ihrer Einschätzung nach etwas anders sein, wenn diese schwere Zeit überstanden ist?
Die Krise hat unmittelbare und massive Auswirkungen auf mein Büro: alle Baustellen sind derzeit gestoppt. Wir arbeiten mit etablierten Firmen, aber auch denen sind die Arbeiter aus den Bundesländern und östlichen Herkunftsländern abhanden gekommen, oder sie befinden sich in Kurzarbeit. Es gibt Lieferengpässe, einige Projekte sind zeitlich ausgesetzt. Einen Teil der Aufträge kann ich jedoch noch abarbeiten. Die Auswirkungen durch die Covid-19-Bedrohung werden enorm sein, wenn man nicht einen Weg findet, bei dem die Wirtschaft zumindest teilweise wieder anspringt. Die aktuelle Ausnahmesituation könnte uns jedenfalls am Ende einzigartige Zukunftschancen bescheren: Mein Wunsch ist, dass wir neoliberale Maximen abschütteln können - Gewinnmaximierung, Effizienzsteigerung, Wachstum, Gier um jeden Preis. Die Besinnung auf „altmodische“ Begriffe wie Qualität, Nutzen für die Allgemeinheit, ökologische Ressourcenschonung, usw. würde uns meines Erachtens weiterbringen. Wenn wir eine dementsprechende Kehrtwende schaffen, bin ich zuversichtlich.
Zur regionalen Situation in Niederösterreich: was sind die dringendsten Fragen, auf die die Architektur in den nächsten Jahren wird Antworten liefern müssen?
Da gibt es einfache Antworten, die man nur angehen muss: Den Flächenverbrauch reduzieren, die Veränderungsprozesse in den Dörfern - ob Verödungstendenzen oder Zuzugsprobleme - besser und aktiv steuern, kompakter und umweltfreundlicher bauen - Stichwort „Bauen im Bestand“. Endlich das Mobilitätsproblem angehen. Und nicht zuletzt die Frage: Wie mit den sozialen und sozioökonomischen Herausforderungen zurechtkommen?
Gibt es für Sie eine Epoche oder eine Person in der Architekturgeschichte, die Sie inspiriert und die Anregungen für das heutige Bauen bieten kann?
Es gibt viele Einflüsse. Ich war schon immer anfällig für Theoretiker, weil ohne Nachdenken, ohne Überbau zwar Schönes, aber selten Bleibendes entsteht. Dieser philosophische Zugang fehlt heute teilweise, in einer Zeit, in der Milliardenprojekte mit Renderings und PR-Texten verkauft werden. Natürlich liegt in der Architektur die „Moderne“ näher an unserer Zeit, als die Beispiele aus dem Altertum. Aber schon Vitruv hat vermutlich das Wichtigste über die Architektur zusammengefasst. Ich hatte interessanterweise vor allem „Länderphasen“: Italien, Holland, Bauhaus, später Spanien, Portugal, Skandinavien, … und England fehlt mir immer noch. Im Städtebau haben mich maßgeblich Griechenland - wie wunderbar ist der Plan von Milet - und Rom beeinflusst, und am massivsten dann die in ganz Europa manifestierte Gründerzeit. In der Gegenwart lese ich mehr die Soziologen als die Städtebauer. Von den Architekt:innen schätze ich zunehmend die „Leisen“ der Nachkriegsmoderne, Puchhammer, Schweighofers „Stadt des Kindes“, und international jene, die ich beiläufig entdecke: z.B. Carlos Raul Villanuevas Werk in Venezuela.
Was würden Sie gerne entwerfen oder gestalten, völlig ungeachtet dessen, ob es realistisch oder realisierbar ist? Welche noch nicht gestellte Bauaufgabe würde sie reizen?
Obwohl ich Atheist bin, eine Kirche. Oder ein Museum. Jedenfalls Bauaufgaben, die so etwas wie „geistige Haltung“ und Singularität voraussetzen. Diese sind bei einem Wohnhaus oder einer Fabrik nicht ganz so vorrangig oder zumindest schon vielfach beantwortet.
Was würden Sie - im Zusammenhang mit Ihrem beruflichen Umfeld - gerne ändern können?
Die beruflichen Rahmenbedingungen sind sehr herausfordernd geworden: persönlich betrifft mich sehr, dass es keine Zeit mehr „zum Verschnaufen“ gibt. Denn die Anforderungen an Termine und Quantitäten werden permanent erhöht, aber die Honorare stagnieren oder fallen sogar. Gleichzeitig steigen die Investitionskosten (Stichwort BIM, Revit) und wir laufen Gefahr, den IT-Konzernen ausgeliefert zu werden, etwa beim Urheberrecht in virtuellen Planwelten. Dazu kommt die von der EU forcierte Globalisierungs-Leitlinie: Wir kleineren Büros, die ungemein flexibel, leistungsfähig und qualifiziert sind, werden in einem beinharten Markt durch Ausschreibungen und Anforderungsprofile von größeren Playern zunehmend verdrängt. Ich plädiere für das komplette Gegenteil: nur die Aufrechterhaltung der Vielfalt garantiert einen funktionierenden Planungsmarkt.
Wie schätzen Sie Dynamik und Qualität des heimischen Architekturschaffens ein - im Vergleich mit anderen europäischen Ländern?
Die Qualität der inländischen Kolleg:innenschaft ist sehr hoch. Wettbewerbe sind ein guter Gradmesser für die Planungsqualität, und gerade hier fallen mir viele herzeigbare Ergebnisse ein. Auch internationale Erfolge beweisen das. Was mich beindruckt, ist die Dynamik durch die nachdrängenden Generationen, deren Namen ich aufgrund ihrer Vielzahl gar nicht mehr erfasse. Kritischer sehe ich das beim Gebauten. Beim Betrachten der Städte und Dörfer konstatiere ich: Die österreichischen Architekt:innen sind besser als die einheimische gebaute Umwelt. Dafür gibt es viele Gründe: Gesetze und Vorschriften, Vorurteile gegen die Planungszunft, Haftungsfragen, und vieles mehr. Bei einem unserer Projekte mussten wir einen wirklich innovativen Entwurf radikal abschwächen, weil die gutachterliche „Meinung“ einer Dienststelle höchstgerichtliche Entscheidungen befürchtete. Aber das ist wahrscheinlich überall so. Ich schätze jedenfalls unsere heterogene Szene mit ihren ausgeprägten Individuen sehr, weil sie sich gegen die vorherrschende Internationalisierung stemmt. Ich hoffe, das bleibt so.
Welche Rolle spielen Architekt:innen heute in der Gesellschaft?
Diese sehe ich ambivalent. Die coolen Berufe im Kino waren früher die Anwälte, dann die Ärzte, schließlich Architekten und neuerdings Landschaftsplaner. In diesen Narrativen zählen wir zu den Erfolgreichen und Angesehenen. Dem gegenüber stehen meine täglichen Erfahrungen. Im Innviertel, woher ich herkomme, betrachtet man die Konsultation eines Architekten noch immer als notwendiges Übel und/oder als hinausgeworfenes Geld. Dabei haben wir verantwortungsvolle Rollen in der Gesellschaft: als Architekt:innen müssen wir permanent auf die „soziohygienische“ Rolle der Baukultur hinweisen, wie es etwa das „rote Wien“ vorbildlich gemacht hat. Und die Aufgabe der Städte- und Dorfplaner ist noch viel wichtiger, weil es da um ganzheitliche Fragen der Raumorganisation geht. Eigentlich eine schöne und wichtige Aufgabe.
Sollen sich Architekt:innen darüber hinaus politisch engagieren? Und wenn ja, in welcher Form soll das erfolgen - im Sinne einer Förderung der Baukultur?
Ich denke, eine Demokratie braucht wache Bürger:innen. Engagement ist schon deshalb wichtig, weil wir uns in einer vernetzten Welt alle gegenseitig beeinflussen, ob standespolitisch, berufspolitisch, sozial, kulturell, ist egal. Ich habe mich daher immer schon engagiert: ob bei der Gründung des selbstverwalteten Kindergartens der TU Wien, beim Quartiersmanagement Kaiserstraße mit viel unentgeltlichem Einsatz, ich war viele Jahre im Vorstand der ig-architektur, davon zwei Jahre Sprecher, ich engagiere mich in der ÖGFA und im Stadtnachhaltigkeitsausschuss der Kammer, in Preisrichtertätigkeiten und nun bin ich im ORTE-Vorstand. Freiberufler:innen sind unabhängig und tun sich daher leichter, Stellung zu beziehen. Man muss nicht gleich Funktionär:in sein, auch in Leserbriefen, durch Vermittlungstätigkeit oder nur als „Konsument:in“ kann man sich äußern. In der Baukultur gehört das meines Erachtens zu unseren Pflichten.
Ihr Tipp für danach, wenn wir wieder uneingeschränkte Bewegungsfreiheit genießen dürfen werden: Den Besuch welchen Gebäudes können sie Architekturaffinen empfehlen? Welches Bauobjekt hat Sie persönlich zuletzt begeistert und warum?
Der Erste-Campus von Henke-Schreieck auf dem neuen Hauptbahnhofgelände in Wien gehört zum Besten, was mir in letzter Zeit untergekommen ist. Da stimmt Vieles zusammen: Städtebau, Freiraum, Architektur, Gestaltung. Das Prinzip einer einheitlichen und doch vielschichtigen und facettenreichen Formgebung gibt dem großen Baukomplex den nötigen Zusammenhalt. Trotz strenger und reduzierter Gestaltung entsteht eine ungemein vielfältige und Klarheit vermittelnde Umwelt. Dieses Projekt bildet den ruhenden Pol inmitten eines allzu lauten Architekturclusters. International empfehle ich zwei kleinere Beispiele: Alvaro Siza, ein Meister der Reduktion, mit dem Atlantikbad Leca de Palmeira nahe Porto. Und Giuseppe Terragni, der so etwas profanes wie Stadtwohnhäuser zu ungeahnter Meisterschaft geführt hat. Zum Beispiel die Casa Rustici in Mailand.
Welchen Rat wollen Sie ORTE auf den weiteren Weg mitgeben, welche Schwerpunkte soll der Verein – sowohl kurz- als auch langfristig – setzen?
ORTE ist dabei, einen guten Weg mit dem neuen, interdisziplinär besetzten Vorstand und einer fachlich sehr versierten Vorsitzenden zu gehen. Ich finde es bereichernd, in den Vorstandssitzungen mit den unterschiedlichen Zugängen zum Bauen konfrontiert zu werden. Bei der zukünftigen Schwerpunktsetzung sehe ich zwar große Herausforderungen, aber keinen grundlegenden inhaltlichen Veränderungsbedarf. Es geht um die Auseinandersetzung mit dem zeitgemäßen Bauen unter den besonderen Rahmenbedingungen eines ländlich geprägten Raumes. Das ist ein langfristiger Prozess. Als zentrale Aufgabe sehe ich dabei die Vermittlungstätigkeit für alle Bereiche, die das Planen und Bauen umfassen: Klima, Sozioökonomie, Bildung, Gestaltung, Nachhaltigkeit, Raumplanung, etc. Besonders wichtig sind aus meiner Sicht dabei Niederschwelligkeit und das Ansprechen möglichst breiter Bevölkerungsschichten, von (Schul-)Kindern bis zu hard-to-reach-Gruppen. Aufgrund der knappen finanziellen Mittel kann der Verein keine Massen bewegen. Aber - so wie es ja schon geschieht - er kann und soll durch qualitätsvolle Angebote und Vermittlung als permanentes und verlässliches Sprachrohr für die Baukultur Niederösterreichs und deren Verbesserung eintreten.
Franz Denk - denk.ARCHITEKTUR, Wien 16, April 2020
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