Mitglieder im Gespräch
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
weiterlesen …Die Architekturpublizistin und ORTE-Vorstandsvorsitzende im Gespräch
Liebe Franziska, danke, dass du dir in Tagen wie diesen für uns Zeit genommen hast. Vielleicht gleich zu den gegenwärtigen Umständen: Wie geht es dir persönlich bei der praktischen Durchführung deiner Arbeit in der für uns alle neuen Krisensituation?
Abgesehen davon, dass sämtliche Veranstaltungen abgesagt werden mussten und damit auch einige Moderations-Aufträge (vorläufig) verloren gingen, geht es mir gut. Da ich ohnehin auch sonst allein in meinem kleinen Büro arbeite, musste ich technisch nichts umstellen und kann – fast – wie gewohnt arbeiten. Während die krisenbedingte Entschleunigung weniger Verpflichtungen außer Haus mit sich bringt, geht sie aber einher mit neuen Aufgaben und Fragestellungen, die durchaus Einfluss auf die Inhalte meiner Arbeit haben.
Welche Auswirkungen hat die COVID-19-Krise deiner Meinung nach schon jetzt auf das Architekturschaffen und die Vermittlung von Baukultur. Was werden wir danach ändern? Worin wird der Lerneffekt bestehen? Wird er nachhaltig sein?
Im Kleinen wird uns der derzeitige Zwang, Projektbesprechungen über virtuelle Plattformen abzuhalten und sich deshalb mit Werkzeugen vertraut zu machen, die wir ansonsten nur ausnahmsweise verwenden, höchstwahrscheinlich dazu führen, dass diese Werkzeuge schneller und mit größerer Selbstverständlichkeit Teil unserer Arbeit werden. Im größeren Zusammenhang wage ich noch keine Prognose. Man darf aber auf mehr Bewusstsein für solidarisches Handeln bei der Projektierung und Errichtung jeglicher Art von Räumen hoffen. Jedenfalls erachte ich es als wesentlich, dass alle in der Architekturvermittlung Tätigen (noch stärker) darauf ihren Fokus legen. Die Menschen, die wir erreichen wollen, sind nun für Fragen, die zuvor für viele Orchideenthemen waren, gewiss stärker sensibilisiert.
Dein Tipp für danach, wenn wir wieder (uneingeschränkte) Bewegungsfreiheit genießen dürfen: Den Besuch welchen Gebäudes kannst du empfehlen, - welche Landschafts- oder Freiraumplanung hat dich persönlich zuletzt begeistert? – Sei es in Niederösterreich oder auch andernorts.
In Niederösterreich empfehle ich die von Bevk Perović arhitekti anlässlich der NÖ Landesausstellung 2019 freigelegten adaptierten und erweiterten Kasematten in Wiener Neustadt: ein Musterbeispiel im Umgang mit historischem Bestand und Topografie!
Allen, die es ins benachbarte Ausland zieht, rate ich zu einem Besuch der Villa Rothmayer in Prag. Das vom Plecnik-Schüler- und -Mitarbeiter Otto Rothmayer für sich und seine Familie – seine Frau war die Textilkünstlerin Božena Rothmayerová, sein Sohn der Fotograf Jan Rothmayer – geplante Haus (1928/29), dessen wunderschöner Garten mit Skulpturen des Glaskünstlers René Roubíček ausgestattet ist, gibt einen erhellenden Einblick in das private und intellektuelle Leben einer Prager Künstlerfamilie.
Warum ist es so schwierig, für gute Architektur zu sensibilisieren? Oder anders gefragt: Warum klaffen (theoretischer) Anspruch und (praktische) Umsetzung noch immer bei so vielem Gebautem so weit auseinander, obwohl unsere gebaute Umwelt eine conditio vitae ist, der sich niemand entziehen kann
Wie wir selbst aus unserer täglichen Arbeit wissen, ist die Architektur eine komplexe Materie …
Und wie wir alle im Zuge der COVID-19-Krise am eigenen Leib erfahren haben, gewöhnt man sich relativ rasch an suboptimale Umstände. Jemand, der nicht geschult ist, Räume kritisch zu reflektieren, der nie gelernt hat, räumliche Defizite in seinem Lebensumfeld zu identifizieren, tut sich schwer, dieses Manko zu artikulieren.
So lange Architektur in den Schulen nur ein Teilgebiet der Bildnerischen Erziehung und Werkerziehung ist und dort mit ein paar Unterrichtseinheiten, in denen ein paar Meilensteine der Architekturgeschichte behandelt werden oder die Kinder und Jugendlichen einen vorgegebenen Grundriss mit Möblierung ausstatten, abgetan ist, wird sich daran nichts ändern. Die Architektur muss ein Thema in allen Schulen und Unterrichtsfächern werden. Sie eignet sich dafür so gut wie kaum ein anderes Gebiet. Aus dem Stegreif fallen mir dutzende Möglichkeiten ein, Themen der Architektur und des Bauens im Sprachunterricht, in Geografie- und Wirtschaftskunde, in Mathematik, Chemie, Biologie, Geschichte, Philosophie und Psychologie – und sogar im Musik- und Sportunterricht zu behandeln. Das wird nur gelingen, wenn Themen der Architektur ganz selbstverständlich Eingang in die Schulbücher finden.
Welche Rolle nehmen Architekt:innen in der heutigen Gesellschaft ein, welche Verantwortung kommt ihnen zu?
Hier gibt es wahrscheinlich eine Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung der Architekt:innen und der Außenwahrnehmung, wobei man die Berufsgruppe nicht über einen Kamm scheren kann. Mit zunehmender Komplexität jeglichen Baugeschehens ließen sich sehr viele in eine passive Rolle drängen. Bei ihrer Vereidigung als Ziviltechniker:in schwören Architekt:innen immerhin, die ihnen „anvertrauten Angelegenheiten nach bestem Wissen und Gewissen“ zu besorgen. Man muss schon froh sein, wenn sie das tatsächlich tun. Schlussendlich obliegt es der und dem Einzelnen, wieviel Verantwortung man zu übernehmen bereit und in der Lage ist.
Wie siehst du das Zusammenspiel von Politik und Architektur, sollen sich Planende politisch engagieren?
Vor vielen Jahren hatte ich ein Gespräch mit einer architektonisch interessierten (und familiär „vorbelasteten“) Nationalratsabgeordneten. Sie meinte, dass sie der niedrige Stellenwert der Baukultur nicht wundere, da – im Gegensatz zu Menschen aus anderen großen Berufsfeldern – die Architektenschaft im Parlament nicht vertreten ist. Daher: Ja, ich finde es erstrebenswert, dass sich Architektinnen und Architekten, nicht nur unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle politisch einbringen, sondern auch konkret Ämter in Gemeinderäten, Landtagen und dem Nationalrat anstreben. Die derzeitigen Lobby-Strukturen, so engagiert sie auch sein mögen, sind einerseits personell und finanziell viel zu schwach ausgestattet, um Baukulturpolitik zu machen, andererseits werden sie wohl nie einen höheren Stellenwert bekommen, wenn sie sich von den Hebeln der Macht fernhalten.
Zur regionalen Situation in Niederösterreich: was sind die dringendsten Fragen, auf die die Architektur in den nächsten Jahren wird Antworten liefern müssen? Und welche Schwerpunkte wird in diesem Zusammenhang ORTE in der Baukulturvermittlung – sowohl kurz- als auch langfristig – setzen?
Die dringendste Frage – schon seit Langem – ist die des Wohnens und der Lebensqualität vor allem im ländlichen Raum. Dieser wird nach wie vor auf Teufel komm‘ raus zersiedelt, wie wohl die Folgen den Verantwortlichen auf allen Ebenen längst bekannt sein sollten. Auf der anderen Seite sind Alternativen zum Einfamilienhaus spärlich gesät. Die Frage, wie Wohn- und Siedlungsraum entstehen kann, der nicht nur dem einzelnen leistbare vier Wände bietet, sondern die Qualität des Zusammenlebens verbessert, sozial, klimafreundlich sowie zukunftsorientiert ist – und sich in Krisen jedweder Art als resilient erweist - muss uns noch länger beschäftigen.
Franziska Leeb, ORTE-Vorstandsvorsitzende seit Oktober 2019, im März 2020
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
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