Mitglieder im Gespräch
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
weiterlesen …Lieber Nott: Wie bzw. wann bist du auf ORTE aufmerksam geworden und wie lange bist du schon dabei?
Seit ich 2011 als Professor für Denkmalpflege an die TU berufen wurde, wollte ich mich als Zugewanderter möglichst umfassend mit den hiesigen Verhältnissen vertraut machen. Diese Erkundungen führten mich nicht nur zum eigentlichen Baubestand, sondern auch zu den behördlichen Einrichtungen der Denkmalpflege und Vereinen wie ORTE, die sich ganz generell um die Beförderung guter Planung und Architektur kümmern. Auf Anfrage bin ich 2017 gerne dem Vorstand von ORTE beigetreten.
Du hast dich schon vor deinem Studium der Kunstgeschichte für die Bauforschung interessiert. Woher kam dein Interesse an der historischen Bausubstanz? Erinnerst du dich an den ersten Impuls, der zu deiner Berufswahl geführt hat?
Ja, das war eine Art Initialzündung, ein eigentliches Schlüsselerlebnis: Als ich so um die zehn Jahre alt war, wurden um die Dorfkirche herum archäologische Grabungen durchgeführt. Jede freie Minute stand ich an der Friedhofsmauer und beobachtete, was da alles aus dem Boden kam. Der Grabungsleiter, dem der Bub in kurzen Hosen schon aufgefallen war, fragte mich eines Tages, ob ich mithelfen wolle. Nichts lieber als das! Den ganzen Sommer durch traf man mich in der Grabung an, am Schaufeln und Schubkarrenstoßen, um dann eines Tages mit dem Herauspinseln eines Skelettes das höchste aller Gefühle erleben zu dürfen! Von da an reifte mein Wunsch, Archäologe zu werden. Diesen Gedanken verfolgte ich auch während der Gymnasialzeit und arbeitete in den Ferien auf zahlreichen Grabungen mit, bei denen es immer um den mittelalterlichen Baubestand ging. Auch mein Universitätsstudium war darauf ausgerichtet, eines Tages dann als Mittelalterarchäologe unterwegs zu sein. Während des Studiums folgten weitere Grabungen, bei denen ich als Zeichner und schließlich als Grabungsleiter im Einsatz war. Da es in der Schweiz damals das Studienfach Mittelalterarchäologie nicht gab, belegte ich mit Augenmerk auf das Mittelalter im Hauptfach Kunst- und Architekturgeschichte, mittelalterliche Geschichte, die historischen Grundwissenschaften und anderes mehr. Da mir mein Hauptfach – schon damals mit besonderem Interesse für die Denkmalpflege – mehr und mehr neue und spannende Horizonte eröffnete, nahm ich allmählich von der ursprünglich so fixen Idee, Archäologe zu werden, Abschied, und so weiter und so fort ...
Wenn du nicht Kunsthistoriker geworden wärst, wohin hätte dich deine Leidenschaft beruflich sonst geführt?
Ich wäre Schreiner oder Zimmermann geworden oder Musiker. Parallel zur Universität studierte ich auch am Konservatorium. Als fast zeitgleich beide Studien zu Ende gebracht waren, musste ich mich entscheiden, ob ich beruflich als Klarinettist und Saxophonist oder als Kunsthistoriker weiterziehen wollte. Verschiedene Umstände bewogen mich dann, die Musik mehr als schöne Ergänzung mit ins Leben zu nehmen.
Mit welchen Aufgaben setzt du dich momentan beruflich auseinander?
Mit vielen. Mit zunehmendem Alter und wachsender Erfahrung nehmen auch die Anfragen zu, in Projekten mitzuwirken, als Experte aufzutreten, Texte zu verfassen oder Vorträge zu halten. Dabei muss ich gut darauf achten, nicht in Teufels Küche zu geraten. Meine hauptsächliche Beschäftigung ist, wie es sich aufgrund meiner Anstellung gehört, in der Forschung und Lehre, wobei die (auch forschungsgeleitete) Lehre im Vordergrund steht. Damit kann ich nachhaltig wirken und eine angehende Generation Architektinnen und Architekten auf vielfältige Weise in den Fachbereich einführen. Dabei geht es mir nicht nur um Hardcore-Denkmalpflege, sondern auch allgemein um einen angemessenen und sinnvollen Umgang mit dem historischen Baubestand. Dass in diesem Zusammenhang auch die Themen "Weiterbauen" sowie "Alt und Neu" in Bearbeitung geraten, liegt auf der Hand. Insofern kann man nur schwerlich Denkmalpflege betreiben, würde man das zeitgenössische Baugeschehen einfach ausblenden. Im Gegenteil; in entsprechenden Entwurfsübungen ist gerade auch die Auseinandersetzung mit den Erscheinungen und Erfordernissen der aktuellen Architektur gefragt.
Welche Auswirkungen hat die COVID-19-Krise unmittelbar auf das Baugeschehen, was bedeutet sie für Architektur und Baukultur, so sie länger andauern sollte? Wird deiner Einschätzung nach etwas anders sein, wenn diese Zeit überstanden ist?
Diese COVID-19-Krise hat das Baugeschehen als Gesamtes nicht wirklich beeinträchtigt und sie wird sich als solche auch nicht auf das Baugeschehen danach auswirken. Es sind ganz andere Dinge, die spätestens ab jetzt die Planung und Architektur zu einem radikalen Umdenken zwingen, nämlich die nun dringliche Forderung, endlich nachhaltig zu bauen, die Ressourcen (Baubestand und Landschaft) zu schonen und im Bauwesen die sich für das Klima verheerend auswirkenden CO2-Emissionen zu vermeiden. Sollten die COVID-19-Monate der Einen oder dem Anderen Muße und Zeit verschafft haben, über dieses Umdenken nachzudenken, mag sich die Krise indirekt dann doch auch auf das Baugeschehen danach auswirken.
Gibt es für dich eine Epoche oder eine Person in der Architekturgeschichte, die dich inspiriert und die Anregungen für das heutige Bauen bieten kann?
Da gibt es natürlich eine ganze Menge Leute, die in der Architekturgeschichte Beeindruckendes geschaffen haben, aus ihrer jeweiligen Zeit heraus, unter bestimmten Umständen und in einem gewissen gesellschaftlichen Kontext. Die Geschichte der Architektur zeigt, dass die Baukunst immer von ihrem Erbgut zehrt, selbst dann, wenn, über die lange Dauer betrachtet, Brüche zur verzeichnen sind, die hin und wieder auf das Schaffen einzelner Akteure zurückzuführen sind. So besehen bleiben Bauschaffende, die sich seit Jahrhunderten ebenso theoretisch wie praktisch mit ihrer Aufgabe auseinandergesetzt haben, bis heute inspirierend. Vom gotischen Werkmeister, der nicht theoretisierte, sondern aus der überkommenen Erfahrung arbeitete, über Größen wie Alberti, Palladio, Fischer von Erlach, Ledoux, Schinkel, Semper, Otto Wagner, Le Corbusier, Mies van der Rohe, Grete Schütte-Lihotzky, Aldo Rossi, Denise Scott Brown, Peter Zumthor fallen Persönlichkeiten ins Gewicht, die in der Komplexität der Architektur Konsistenz suchten und auch realisierten. Diesbezüglich kann sich die zeitgenössische Architektur nicht genug inspirieren lassen.
Was würdest du – im Zusammenhang mit deinem beruflichen Umfeld – gerne ändern können?
Ich würde an der Architekturfakultät der TU Wien ein eigentliches Denkmalpflege-Masterstudium auf die Beine stellen. Der Weg dahin ist aber steinig und lange, und ich werde es bis zu meiner Pensionierung nicht mehr schaffen. Immerhin ist es uns gelungen, für unseren Bereich die "Studienintegrierte Qualifikation Bauforschung.Denkmalpflege.Baupraxis im Bestand – [SIQ!]" einzuführen, die den Studierenden, die im Masterstudium vorrangig Lehrveranstaltungen in den erwähnten Bereichen (im Umfang von 80 ECTS ) absolvieren und die Diplomarbeit einreichen, eine Eintragung ihrer besonderen Qualifikation in den Diploma Supplements des Abschlusszeugnisses sichert.
Aus deiner Erfahrung als ehemaliger Chefredakteur von Werk, Bauen + Wohnen heraus: Wie schätzt du die Lage des Schreibens über Architektur in Österreich ein? Gibt es eine bzw. die Architekturkritik? Wie profund ist die Auseinandersetzung mit baukulturellen Fragen in den österreichischen Medien?
Nicht alles, was über Architektur geschrieben wird, ist auch Architekturkritik. Neben Coffee-Table-Books und Architektur-Infotainment, die selbstverständlich ihre Berechtigung haben, ist vertiefte und pointierte Architekturkritik unverzichtbar. Zeitgenössische Analysen und Einschätzungen sind wichtig. Gute Architekturkritik besitzt Strahlkraft, hat eine lange Halbwertszeit und wird wahrgenommen, im besten Fall nicht nur von der Fachwelt, sondern auch in einer breiten Öffentlichkeit, und, wenn es ganz gut kommt, auch in den entscheidenden politischen Etagen. Noch wichtiger als Entstandenes zu kritisieren ist, für oder gegen Projekte und Planungen zu schreiben, in der Verantwortung, Gutes zu befördern und Schlechtes zu verhindern.
Wie schätzt du Dynamik und Qualität des heimischen Architekturschaffens ein – im Vergleich mit deinem Heimatland, der Schweiz?
Da gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Im Vergleich zur Schweiz meine ich, dass es in Österreich in der Wettbewerbskultur noch Luft nach oben gibt.
Was wünschst du dir von ORTE, welchen Rat willst du ORTE auf den weiteren Weg mitgeben?
ORTE wird zum Glück gefördert und unterstützt und ist damit auch in der Lage, seit vielen Jahren ein reichhaltiges Programm anzubieten, das kritisch auf wunde Punkte im Bereich Planung und Architektur aufmerksam macht, aber direkt oder mittelbar ebenso wichtige Forschungs- und Vermittlungsarbeit verwirklicht. Mit mehr Mitteln und Personal könnte ORTE seine Rolle als kompetenter Akteur, Plattform und Drehscheibe noch verstärken. Heute und morgen ist es wichtig, dass das Architekturnetzwerk als Verein seine Unabhängigkeit und damit sein höchstes Gut nicht preisgibt.
Nott Caviezel, im Vorstand von ORTE seit 2017, im schriftlichen Interview, Dezember 2020. Caviezel ist ein Schweizer Kunsthistoriker und seit 2012 Professor für "Denkmalpflege und Bauen im Bestand" an der Technischen Universität Wien.
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
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