Tania Berger
im Gespräch
Liebe Tania, das Department für Bauen und Umwelt an der Universität für Weiterbildung Krems ist seit Jahren Mitglied bei ORTE. Wie wird ORTE aus Sicht einer so großen Bildungseinrichtung wahrgenommen?
Wir sehen ORTE als wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteur und Verbündeten in unserem Bemühen Bauschaffende und auch die breitere Öffentlichkeit aufmerksam zu machen auf die Notwendigkeit die Herausforderungen des globalen Klimawandels in und durch die gebaute Umwelt wahrzunehmen und proaktiv anzugehen. Denn zum einen ist der Bau und Betrieb der Gebäude, die wir errichten, bewohnen und benutzen, mit beträchtlichen Ressourcenverbräuchen und Treibhausgasemissionen verbunden. Zum anderen werden wir in den kommenden Jahrzehnten genau in diesen Gebäuden mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert sein – Hitzewellen, Extremwetterereignisse, häufiger auftretende Überschwemmungen, Trockenheit usw. Bei ORTE seid Ihr euch dieser Zukunftsaufgaben recht bewusst und arbeitet aktiv an ihrer Bewältigung.
Im Zentrum eurer Weiterbildung steht der Lebenszyklus von Gebäuden und besonders auch der Bestand an Gebäuden. Bitte gib uns etwas mehr Einblick in eure diesbezügliche Arbeit.
Unser gesamtes Lehrangebot am Department wird kontinuierlich an innovative Themen und gesellschaftsrelevante Fragestellungen angepasst, wobei ein Schwerpunkt seit jeher auf der Betrachtung der großen Masse des Gebäudebestandes liegt. Diesen gilt es, in Zukunft einerseits emissionsfrei zu betreiben, andererseits weiterhin für alle Zielgruppen leistbar zu halten bzw. zu sanieren. Hier zeigen unsere interdisziplinären Zugänge Zusammenhänge auf, die durch entsprechende Expertise vermittelt werden. Darauf basierend "lernen" auch unsere Weiterbildungsprogramme kontinuierlich, woraufhin unsere Curricula weiterentwickelt werden, so wie das aktuell wieder intensiv der Fall ist.
Am Department für Bauen und Umwelt wird auch geforscht. …
… ja, in vielen Bereichen, die sich um Themen der gebauten Umwelt bewegen. In meinem Cluster für Sozialraumorientierte Bauforschung etwa sehen wir insbesondere die Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Gebauter Umwelt an. So untersuchen wir beispielsweise gerade Sozialräumliche Rahmenbedingungen für inklusive Wohnformen für Menschen mit psychischen Krankheitserfahrungen in ländlichen und kleinstädtischen Räumen Niederösterreichs („SPUR“). Dabei arbeiten wir mit Erfahrunsexpert:innen (also Menschen, die selbst über psychische Krankheitserfahrungen verfügen), Gemeinden und zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammen, um Möglichkeiten für sozial inklusive Wohnformen im ländlichen Raum Niederösterreichs auszuloten. Ein anderes Thema, das wir gerade angehen wollen, ist das des Hitzeschutzes für pflegebedürftige Personen – sei es in häuslicher Pflege oder in institutionellen Pflegeheimen. Diese Bevölkerungsgruppen sind hoch vulnerabel, vorausschauende Erhöhung der Hitzeresilienz ihrer Wohnumgebung kann damit – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Frage von Leben und Tod werden.
Wie empfindet das Team eures Departments die Qualität der Architektur und des Freiraums am Campus Krems?
Wir genießen es gerade sehr, dass es in den vergangenen Jahren – mit tatkräftiger Mithilfe unseres Departments – gelungen ist, den Campus nachhaltig zu begrünen. Damit ist die Aufenthaltsqualität in unseren Freiräumen wirklich spürbar gestiegen und wir versuchen vermehrt auch im Freien zu arbeiten – „gehende Besprechungen“ erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Ich kann jedem, der täglich viele Stunden am Schreibtisch verbringt, wirklich nur empfehlen, es einmal auszuprobieren und kleinere Teambesprechungen mit einem Spaziergang zu verbinden – Man wird staunen, wie das die Gedanken klärt und Entscheidungsfindungsprozesse beschleunigt.
Worüber wir auch sehr froh sind, ist die Betonkernaktivierung zur sommerlichen Kühlung unserer Büroräume im Neubau. Auch da hatte unser Department vor fast 20 Jahren „seine Finger im Spiel“ als es darum ging, dieses damals noch recht neue Konzept anzuwenden, das insbesondere in Kombination mit den außenliegenden Lamellen effektiv dazu beiträgt, das Innenraumklima im Sommer erträglich zu halten. Natürlich gibt es im Arbeitsalltag immer wieder Schwierigkeiten und Beschwerden – thermischer Komfort ist eben etwas Komplexes und höchst Individuelles. In Summe aber stimmen doch die meisten Kolleg:innen überein, dass dies die bessere Lösung ist als eine konventionelle Klimaanlage.
Wo siehst du mögliche Schnittstellen zwischen dem Department für Bauen und Umwelt und ORTE, die zu Kooperationen führen könnten?
Ich glaube, wir stimmen überein, dass das Thema „Einfamilienhaus“ insbesondere im Flächenbundesland Niederösterreich einer Bearbeitung und Neuinterpretation bedarf – schon allein im Lichte der Bodenversiegelungsdebatte. Exemplarisch sei hier auch die Problematik von älteren Menschen erwähnt, die allein – und potentiell einsam – in Häusern wohnen, die ursprünglich für ganze Familien gebaut wurden und die in Stand zu halten sie sich schon jetzt schwertun. Hier sind neue Modelle des Zusammenlebens und wechselseitigen Unterstützens gefragt.
Gleichzeitig bedauern wir auch leerstehende und verödende Gemeindekerne, während an den Peripherien weiterhin die Gewerbegebiete wachsen. Ich denke, da könnten wir in Zukunft noch stärker gemeinsam Alternativen entwickeln und aufzeigen.
Was würdet ihr - im Zusammenhang mit eurem beruflichen Umfeld - gerne ändern können?
Tja, ein bisschen weniger Notwendigkeit von Finanzmanagement und Administration im Berufsalltag für ein wenig mehr Zeit für inhaltliche Arbeit wäre schon schön …
Inhaltlich möchten wir gerne die „Third Mission“ (nach Lehre und Forschung) der Universität stärken: die Interaktion mit der Gesellschaft. Was nützt der soundsovielte wissenschaftliche Artikel, wenn die darin enthaltenen Erkenntnisse keinen Widerhall in unserer gemeinsamen Lebensrealität finden? Insbesondere in Sachen Klimawandel sehen wir da eine ziemliche Kluft aufgehen. Daher wollen wir uns aktiv einbringen, Politik und Zivilgesellschaft mit unserer Expertise unterstützen, aber eben auch hören, was sie zu sagen haben: Woran liegt es, dass erforderliche Maßnahmen und Veränderungen nicht umgesetzt werden (können)? Was muss sich da ändern? Persönlich bin ich auch Vorstandsmitglied des Climate Change Centre Austria CCCA, des Sprachrohrs der österreichischen Klimaforschung. Hier setzen wir aktiv auf transdisziplinäre Forschung, die Entscheidungsträger:innen und breite Bevölkerungsschichten mit einbezieht.
Zur regionalen Situation in Niederösterreich: Was sind die dringendsten Fragen, auf die die Architektur und Raumplanung in den nächsten Jahren wird Antworten liefern müssen?
Am einzelnen Gebäudeobjekt lassen sich die großen Fragen der Zeit – Ressourcenschonung, Klimaneutralität, soziale Inklusion – nur bedingt angehen. Da ist schon viel erreicht, wenn wir lernen, uns an den Spruch zu halten: „Am klimafreundlichsten ist das Gebäude, das schon steht.“ In übergeordneten Siedlungsstrukturen müssen wir uns aber natürlich auch fragen, wie wir mobilitätsreduzierender planen und bauen können.
Und ganz global betrachtet: Welche Auswirkungen hat die Klimakrise unmittelbar auf das Baugeschehen, was bedeutet sie für Architektur und Baukultur?
Ich arbeite viel mit Kolleg:innen in indischen und äthiopischen Universitäten zusammen. Wenn ich mit ihnen über Nachhaltigkeit spreche, fragen sie mich zu Recht: „Wie sollen Menschen hierzulande die Bedürfnisse zukünftiger Generationen berücksichtigen, wenn sie ihre eigenen, ganz grundlegenden Bedürfnisse – etwa nach sauberem Wasser, Strom, einem stabilen Dach über dem Kopf, Nahrung für ihre Kinder – nicht befriedigen können?“ Das hat mir schon ein Stück weit die Augen dafür geöffnet, wie sehr wir in Europa Dinge für selbstverständlich halten, die es nicht sind. Das hindert uns auch daran über mögliche Alternativen nachzudenken. Alternativen müssen aber nicht notwendigerweise immer gleich Verlust, Armut und Rückschritt bedeuten. Wie weit trägt beispielsweise das Ausmaß an tagtäglicher (PKW-)Mobilität, die wir für „normal“ halten, tatsächlich zu so etwas wie Glück oder Zufriedenheit bei? Vor diesem Hintergrund müssen wir, davon bin ich überzeugt, nicht nur über mehr Effizienz in der Nutzung von Ressourcen sprechen, sondern auch über mehr Suffizienz nachdenken – allgemein, aber eben auch in der Art, wie wir Gebäude errichten, bewohnen und benutzen.
Tania Berger, ORTE-Mitglied, im schriftlichen Interview, März 2025.
Tania Berger ist ausgebildete Architektin und Bautechnikerin. Als Forscherin verknüpft sie die Gesellschaft mit der gebauten Umwelt. Sie leitet das Zentrum für Sozialraumortientierte Bauforschung (SPACE) im Department für Bauen und Umwelt an der Universität für Weiterbildung Krems, das sich mit Prekärem Wohnen, globalen Urbanisierungsprozessen und den Auswirkungen des Klimawandels in internationalen und nationalen Kontexten beschäftigt.