Mitglieder im Gespräch
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
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Lieber Timo Riess, wie bzw. wann bist Du auf ORTE aufmerksam geworden? Wie lange bist Du schon dabei?
Ein guter Freund hat mich zur Präsentation der ORTE Publikation „Architekturlandschaft Niederösterreich 1848-1918“ nach Baden mitgenommen. Damals habe ich auch das ORTE-Team kennengelernt. Mittlerweile besitze ich auch die vier weiteren Architekturführer von ORTE aus dieser Publikationsreihe und habe sie bei Reisen durch Niederösterreich immer im Gepäck.
Du hast den Verein „Architekturerbe Österreich“ gegründet, der sich auf die Sichtbarmachung von historisch wertvoller Gebäude- und Gartenarchitektur spezialisiert. Was ist das Ziel Eures Vereins?
Um ein Gebäude zu verstehen, muss man es nicht nur von Außen betrachten, sondern auch erleben. Am Besten durch Besichtigungen, Innen wie Außen. Möglich ist das aus meiner Sicht in einem Austausch mit allen Beteiligten, also insbesondere Architekt:innen, Bauherr:innen und Bewohner:innen. Hat man sich erst einmal auf diese Weise mit Architektur – damit meine ich unsere gesamte gebaute Umwelt – auseinandergesetzt, erkennt man – sei es beim Planen neuer oder bei der Erhaltung historischer Bauten – den Wert guter, lebenswerter Architektur. Das Wissen um Architektur und das Vermitteln der damit verbundenen Geschichte ist das eigentliche Ziel des Vereins Architekturerbe, das wir unter dem Motto „begehen – begreifen – bewahren“ erreichen wollen. Den Begriff „historisch“ würde ich in diesem Zusammenhang übrigens relativieren. Für mich ist alles Gebaute bereits „historisch“, egal ob etwas im letzten Jahr entstanden ist oder bereits vor 400 Jahren. Bei Letzterem hat das Gebäude naturgemäß Geschichte und Geschichten, und gerade das macht ältere Gebäude für viele Menschen interessant.
Woher kommt Dein Interesse an historisch bedeutsamer Architektur?
Wenn ich das wüsste. Ich bin weder auf einem Schloss aufgewachsen, noch waren meine Eltern Architekten. Alte Häuser fand ich allerdings schon als Kind spannender als Baustellen. Seit vielen Jahren kümmere ich mich um die Erhaltung eines über 100 Jahre alten Hauses in Niederösterreich, das mein Urgroßvater als Sommerhaus errichten ließ. Wenn man sich über lange Zeit mit Etwas intensiv beschäftigt, dann kann durch dieses Interesse, wie in meinem Fall, aus Leidenschaft ein Beruf werden.
Du hast, soweit ich weiß, Maschinenbau studiert. Würdest Du heute einen anderen Studienweg einschlagen?
Aus heutiger Sicht würde ich nicht nochmals Maschinenbau studieren. Bezeichnenderweise führte mich schon mein erster Job nach dem Studium in ein Architekturbüro in Wien. Ohne Praxiserfahrung war ich ziemlich überfordert und bin nicht lange geblieben. In der Energie-Branche, in der ich anschließend über zehn Jahre tätig war, habe ich dann Vieles gelernt, das ich auch jetzt in der Vermittlungstätigkeit benötige: den Umgang mit Menschen und Institutionen, Projektmanagement, Teamarbeit, Kommunikation, ...
Was bräuchte es, um das Bewusstsein in der Bevölkerung und auch in der Politik für architektonische Schätze und für vernakuläre Architektur zu schärfen?
Es gibt die Redewendung „Was man nicht weiß, sieht man nicht.“ Ich bin überzeugt davon, dass die Weitergabe und Vermittlung von Wissen im Bereich der Baukultur essentiell sind. Damit meine ich – nicht nur das theoretische – Wissen über Gebräuche, Handwerk und Bautraditionen. Daher sind alle Formate und Initiativen, die Wissen vermitteln, zu unterstützen. Leider erliegen viele Menschen beim Bauen oft einem falsch verstanden Fortschrittsglauben – Stichwort: Klimaanlage statt Beschattung – und einem kurzfristigen Denken – Stichwort: Kunstofffenster vs. Holzfenster.
Zur regionalen Situation in Niederösterreich: was sind die dringendsten Fragen, auf die die Architektur und die Raumplanung in den nächsten Jahren wird Antworten liefern müssen? Und welche Regelungen oder Maßnahmen bräuchte es, um denkmalpflegerische Standards zeitgemäß interpretieren zu können?
Das große, zentrale Thema ist auch in Niederösterreich das Thema Nachhaltigkeit, sowohl beim Bauen aber natürlich auch in der Mobilität. Hier kann Altbestand eine wichtige Rolle spielen: die Revitalisierung von Altbau statt Neubau und die Rückbesinnung auf traditionelle, regionale Baumaterialien wie Holz und Lehm. Ich würde mir hier von der Landespolitik mehr Bekenntnis zur Nutzung bestehender Gebäude wünschen, sowohl für den privaten als auch den öffentlichen Bereich. Durch die aktuellen Herausforderungen beschleunigt, könnte sich auch langfristig der ländliche Raum als attraktive Alternative zu Städten etablieren – Stichwort: Energie-Autarkie und Home-Office.
Gibt es für Dich eine Epoche oder eine Person in der Architekturgeschichte, die Dich inspiriert und die Anregungen für das heutige Bauen bieten kann?
In den wirtschaftlich herausfordernden Nachkriegszeiten, also den 1920er und1950er Jahren haben Architekten mit wenigen Mitteln unglaublich innovative und trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen? – ästhetisch ansprechende Bauten geschaffen. Ich meine damit nicht nur die bekannten Bauten des Roten Wien, sondern auch Bauten in Niederösterreich, wie die Siedlung Föhrenhain von Karl Brunner oder das Kinderheim vom Josef Frank in Ortmann. „Less is more“ sollte auch die Devise bei unserer heutigen Architektur lauten. Aber nicht nur dort, sondern in vielen anderen Bereichen unseres Lebens!
Welche Rolle spielen Architekt:innen heute in der Gesellschaft?
Aus meiner Sicht eine zu geringe. Architektur wird von den meisten Menschen als etwas sehr Abstraktes und Akademisches wahrgenommen, obwohl wir uns ständig darin bewegen, schlafen und arbeiten. Dieses Paradoxon kennzeichnet auch den Beruf der Architekt:in. Nur wenige Privatpersonen „leisten“ sich daher eine Architekt:in. Ich sehe Architekt:innen, neben Ihrer Aufgabe des Entwerfens und Planens, auch als Vermittler:in und Moderator:in zwischen den involvierten Menschen und ihren teils gegensätzlichen Interessen. Mit den Herausforderungen des Klimawandels beim Bauen kommt natürlich auf die Architekt:innen eine große Verantwortung zu. Welche Baustoffe sind in Zukunft noch vertretbar? Wie geht man mit immer höheren Temperaturen um, ohne noch mehr Energie für Klimageräte zu verwenden?
Welches Gebäudes würdest Du architekturaffinen Menschen für einen Besuch empfehlen? Welches Bauobjekt hat Dich persönlich zuletzt begeistert?
Anstelle eines spezifischen Gebäudes möchte ich Architektur-Fans folgende Anregung geben: Reisen Sie mit einem Architekturführer ausgestattet – z.B. mit einem der ORTE-Publikationen für Niederösterreich oder dem Klassiker, einem der „Achleitner“-Bände für die übrigen Bundesländer – in eine Stadt oder durch eine Region Österreichs. So kommen Sie bestimmt an Orte, die Sie sonst nicht besucht hätten. Und entdecken am Weg Vieles, das Sie sonst nie gesehen hätten.
Was wünschst Du Dir von ORTE? Hast Du einen Rat, den Du ORTE gern auf den weiteren Weg mitgeben möchtest?
Da ich selbst einen gemeinnützigen Verein gegründet habe, weiß ich, wie wichtig die finanzielle aber auch „mentale“ Unterstützung durch die Mitglieder, Sponsor:innen, Unterstützer:innen und Institutionen ist. Daher wünsche ich ORTE einerseits viele neue und treue Mitglieder und Unterstützer:innen, andererseits natürlich weiterhin von den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung das Bekenntnis zu Baukultur und niederschwelliger Vermittlung.
Timo Riess im schriftlichen Interview, August 2022. Timo Riess absolvierte ein Maschinenbau-Studium an der TU Wien und Public Administration an der Columbia University in New York. Zehn Jahre war er in der Energiewirtschaft tätig. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Vereins Architekturerbe Österreich und seit 2019 im Vorstand von ORTE.
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