Thomas Hoppe - HOPPE Architekten / Sektionsvorsitzender der ArchitektInnen der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland
Lieber Thomas Hoppe: Wie bzw. wann sind Sie auf ORTE aufmerksam geworden?
Durch die Information der Berufsvertretung. Und in weiterer Folge durch die Architekturtage.
Warum sind Sie in die Fußstapfen Ihrer Vorfahren gestiegen und Architekt geworden? Erinnern Sie sich an den ersten Impuls, der dazu geführt hat?
Nachdem das Büro unserer Eltern auch teilweise bei uns in der Wohnung war, haben mein Bruder und ich gesehen wie intensiv sie sich mit ihren Projekten beschäftigt haben. Sie waren eigentlich fast immer „im Büro“ und man hat ihre Anspannung gemerkt, aber wir haben auch miterlebt wie groß ihre Freude und der Stolz war, wenn Dinge funktioniert haben und Gedanken zu Objekten wurden. Ich dachte immer sie lösen Probleme und machen Menschen eine Freude. Ich habe gesehen, dass sie das auch sehr glücklich gemacht hat und daher wollte ich das auch machen – vielleicht ein bisschen ein Weltretter-Syndrom.
Sie sind ja schon in der dritten Generation Ihrer Familie Architekt – das ist beeindruckend, sicher aber auch in manchen Dingen einschränkend, wenn man der Aussage „Erbe verpflichtet“ folgt. Was sind die schönen Seiten, was die herausfordernden?
Ich glaube es hält sich die Waage. Immer wieder erlebe ich, dass ich als Architekt nicht ernstgenommen werde, weil man mir vorwirft nicht den schweren Weg in die Selbständigkeit gegangen zu sein, das Büro nicht selbst gegründet zu haben und daher vom Erbe der Großeltern bzw. Eltern zu leben. Da auch meine Großmutter und meine Mutter Architektinnen waren ging es nie um das Erbe eines Büros, sondern es geht um eine gelebte Berufung in einer Familie. Bei uns zu Hause wurde immer über Architektur geredet, auch wenn mein Bruder und ich das als Kinder nicht gemerkt haben.
Am besten schildert die zwei Seiten der Situation ein Erlebnis, das ich bei einer Schulung über „Bauen im Bestand“ der zt-Akademie gemacht habe. In der Früh hielt ein Kollege einen Vortrag, der freudig erzählte, ein Haus von „dem alten Kupsky“ weggerissen zu haben, den er nicht mochte. Am Abend meinte der letzte Vortragende, dass er dem Professor für Hochbau (auch „der Kupsky“) bis ans Ende seines Lebens unendlich dankbar sei, weil er ihm die Augen für die Materialien des Bauens und den Wert des Bestandes geöffnet hat. Wenn sogar die Leistung eines Lehrers/Architekten so unterschiedlich gesehen wird dann ist es wohl auch nicht eindeutig, ob ein Erbe eine Last oder eine Erleichterung ist.
Mit welchen Aufgaben setzen Sie sich momentan beruflich auseinander, mit HOPPE Architekten sowie in der Kammer?
In unserem Büro sind im Moment, neben meinem Bruder und unseren Eltern auch Robert Neumayr und Franz Schindler als Partner tätig, die alle unterschiedliche Bereiche bearbeiten. Ich habe meinen Schwerpunkt immer auf Denkmalschutz und Umnutzung von Bestandsgebäuden gelegt. Diese Chance, eine Qualität in etwas zu entdecken, das andere für nicht mehr erhaltungswürdig empfinden, treibt mich an. Der Moment, in dem es gelingt den „hidden treasure“ zu heben, ist tatsächlich berauschend.
So konnten wir eine ehemalige schmucklose Bankfiliale im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss der Kärntner Straße 51 so umgestalten, dass man durch sie ins Piano nobile gelangt. Damit wurden diese wunderschönen Räumlichkeiten des Palais Todesco, die von Ludwig Förster begonnen und von Theophil Hansen, seinem Schwiegersohn, beendet wurden, nun teilweise auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Natürlich haben wir uns bei der Gestaltung nicht mit den zwei Altmeistern messen können, aber eine Mischung aus spielerischen Zitaten und eindeutig ablesbaren Einbauten hat zu einer würdigen Inszenierung geführt.
In der Kammer versuche ich seit Anfang meines Engagements eine erhöhte Sichtbarkeit von ArchitektInnen und ihrer Leistungen für die Zivilgesellschaft herzustellen. Dabei ist mir nicht wichtig ob das mit öffentlichen Auftritten oder kleinen Beiträgen im Bereich der Digitalisierung gelingt. Mein Ziel ist es, dass die geistige Dienstleistung, welche die selbstständigen PlanerInnen auf eigenes Risiko erbringen, bemerkt wird. Die Wertschätzung ist dann ein zweiter Schritt, der nach meiner Ansicht von selbst kommt wenn der Leistungsumfang bekannt ist.
Zu den derzeitigen Umständen: Wie geht es Ihnen persönlich bei der praktischen Ausführung Ihrer Arbeit seit Ausbruch der Pandemie?
Im Büro sagen wir uns jeden Tag, dass wir uns nicht beschweren dürfen, weil wir alle gesund sind, unsere MitarbeiterInnen halten konnten und genügend Arbeit für alle vorhanden ist. Unsere Branche arbeitet aber zeitverzögert und die wahren Herausforderungen kommen erst auf uns zu. Unsere Teams sind aufgrund der hohen Digitalisierung des Berufsstandes relativ gut im Home-Office gelandet, und die Motivation ist weiterhin hoch. Ich befürchte aber, dass derzeit viele kleine Fehler passieren, die ansonsten durch die Kommunikation mit Kollegen im Büro entdeckt worden wären. Die Behebung dieser Fehler werden uns in den nächsten drei Jahren beschäftigen und wir werden dann professionell damit umgehen müssen. Da das Thema Home-Office nicht weggehen wird, werden wir Lösungen finden müssen um die Qualität auch in diesem Umfeld zu sichern.
Welche Rolle spielen ArchitektInnen heute in der Gesellschaft?
Die ehrliche Antwort darauf ist, dass unser Berufszweig keine Rolle in der Gesellschaft bzw. in der Politik spielt. Ich glaube, dass wir nicht ganz unschuldig an diesem Umstand sind. Vielleicht haben wir „unabhängig“ mit „nicht eingebunden“ verwechselt. In der zweiten Republik gab es nur einen einzigen Architekten im Parlament, und der war ein nicht sehr erfolgreicher Kurzzeitminister. Parallel dazu sind geschätzt zumindest drei VertreterInnen der Baudienstleistung und zahlreiche VertreterInnen der Industrie im Plenum des Nationalrats. Auch ÄrztInnen und NotarInnen kann man neben RechtsanwältInnen finden, aber keine ZiviltechnikerInnen. Ich glaube das sagt eigentlich alles.
Organisationen wie die Plattform Baukulturpolitik versuchen auf die Notwendigkeit von guter Planung, dem gewissenhaften Einsatz von Ressourcen und nachhaltigen Investitionen hinzuweisen. Aber solange keine ZTs am Tisch mit den politischen Playern sitzen, werden diese wichtigen Themen nicht beachtet.
Was würden Sie – im Zusammenhang mit Ihrem beruflichen Umfeld – gerne ändern (können)?
Ich würde gerne einen Weg finden, mit 3 Sätzen das Leistungsbild von Architektinnen und Architekten zu erklären, und so, ein Verständnis für die Leistungen und Aufgaben des Berufsbilds zu schaffen, der Rest würde dann von alleine folgen.
Wie schätzen Sie die Dynamik und Qualität des heimischen Architekturschaffens ein – im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern?
Ich war zwar in London, Buenos Aires und recht lange in New York tätig, aber all diese Erfahrungen liegen mehr als 15 Jahre zurück. Daher kann ich keine Aussagen über die Situation außerhalb Österreichs treffen. Mein Bauch sagt mir, dass in unserem Land die Situation der Architektinnen im Vergleich zu den südlichen Mitgliedern der EU besser ist, aber von Vergleichen hat glaube ich niemand etwas. Wir sollten versuchen gemeinsame Standards zu entwickeln, und wenn das nicht über die gesamte EU gelingt, dann zumindest im DACH-Raum der ja eine vergleichbare Planungskultur hat. Ich glaube auch, dass die von der Kommissionspräsidentin von der Leyen verkündete Neugründung des „Europäischen Bauhaus“ eine große Chance für unsere Kollegenschaft und den Berufsstand in Europa ist. Vielleicht gelingt es uns unter diesem Dach gemeinsame Standards zu entwickeln und langfristige Ziele zu verfolgen.
Gibt es für Sie eine Epoche/eine Person in der Architekturgeschichte, die Sie inspiriert und die Anregungen für das heutige Bauen bieten kann?
Ich habe bei einer Einführungsvorlesung an der TU-Wien einmal gesagt, dass wir ArchitektInnen kleptomanisch sind. Auch wenn das natürlich überspitzt war, bleibe ich bei diesem Bild. Wir merken gar nicht wenn wir (gute) Dinge aufnehmen und sie in unserer eigenen Sprache wiedergeben. In diesem Sinne sind alle Gebäude und Epochen inspirierend und anregend.
Im Detail ist meine Antwort etwas naheliegender. Nachdem unser Büro gleich neben der Postsparkasse liegt und wir diese auch generalsanieren durften, hatte Otto Wagner und der ästhetische Umbruch am Anfang des 20. Jahrhunderts großen Einfluss auf mich. Die Idee konstruktive Elemente als Ornament zu verwenden und stets innovative Materialien, auch mit hohem Risiko, einzusetzen finde ich immer noch überzeugend.
Welches Bauobjekt hat Sie persönlich zuletzt begeistert?
Ich bin überzeugt, dass man Gebäude nur dann vollständig erfassen kann, wenn man in sie hineingeht, sie berührt, sie durchs Spüren verstehen kann. Das ist im letzten Jahr kaum möglich gewesen. Dennoch möchte ich an dieser Stelle die Sanierung der Heiligen-Geist-Kapelle in Bruck an der Mur durch das Büro „stingl-enge architekten“ aus Trofaiach nennen. Dieser Ort hat mich, auch aus persönlichen Gründen, emotional berührt, und die Kapelle ist der Beweis, dass man auch mit kleinen, aber umso präziseren Eingriffen eine Ruine an einem Unort zu neuem Leben erwecken kann. Das kann nur Architektur als eine gesamtheitliche Profession, die mit dem Städtebau beginnt, über die Freiraumgestaltung zum Hochbau geht und bei der Innenraumgestaltung endet. Diese Art des allumfassenden Architekturbegriffs bindet alle Aspekte und Maßstäbe ein und denkt sie gleichberechtig vom Anfang bis zum Ende mit.
Zur regionalen Situation in Niederösterreich: Was sind die dringendsten Fragen, auf die die Architektur und Raumplanung in den nächsten Jahren wird Antworten liefern müssen?
Ich glaube die Bodenversiegelung ist das größte Thema. Ich habe selbst ein Angebot bekommen Reihenhäuser in der Nähe eines neuen Bahnhofs zu planen, und habe dies abgelehnt. Ich glaube die Entwicklung von freistehenden Einfamilienhausträumen wird unserem kulturellen Erbe, und unserem gesellschaftlichen Anspruch nicht gerecht. Diesen Traum hat die Baustoffindustrie in die Köpfe der Menschen gepflanzt. Ich bin mir ganz sicher, dass es möglich wäre, Menschen von der Sinnhaftigkeit von verdichteten Flachbauten zu überzeugen. Eine gemeinsame technische Gebäudeausstattung und Aufschließung wäre ein erster Schritt, der es auch möglich machen würde den Zuschnitt der Grundrisse und die räumliche die Aufteilung in den angrenzenden Objekten zu ändern. Damit könnten sich die Bauten den Lebenssituationen der Bewohnerinnen und Bewohner anpassen und nicht umgekehrt. Ich kann einfach nicht glauben, dass wir in einer Gesellschaft leben, die es notwendig macht einen 2 × 3 m Abstand mit einer mittig liegenden Thujenhecke als „Sicherheitsabstand“ zu den NachbarInnen zu haben, um in Frieden leben zu können. Natürlich ist das Hochhaus keine Antwort in Niederösterreich (oder auch Österreich) aber die Ausbreitung des von der Industrie gewünschten und der Regierung geförderten Vollwärmeschutzwürfels ist eine Sache die wir umgehend einstellen müssen.
Was wünschen Sie sich von ORTE, wie könnte sich die Baukulturvermittlung weiterentwickeln? Welche Berührungspunkte mit der Kammer der ZiviltechnikerInnen ließen sich zukünftig verstärken?
Ich glaube die letzten zwei Jahre waren wir auf einem guten Weg, wenn es um die Intensivierung der Kontakte geht. Das hat auch mit der Neuaufstellung der „Architekturtage“ und der Kommunikation auf der persönlichen Ebene zwischen den Architekturhäusern und den BerufsvertreterInnen zu tun. Man muss sich davon befreien, dass jede Kooperation und jedes Gespräch als Versuch einer Übervorteilung gesehen werden. Ich sehe die Eigenständigkeit der Häuser nicht als gefährdet an. Gute Architektur und gute Kommunikation über Baukultur geht Hand in Hand, und wir müssen Wege finden die Schwelle weiter nach unten zu setzen und mehr Leute anzusprechen. „Sprechen über Architektur“ ist unter ArchitektInnen üblich und auf der professionellen Ebene der Weiterentwicklung fruchtbringend und unterhaltsam, aber es trägt nicht zur Bildung einer architekturaffinen Gesellschaft bei. Bei einer Diskussion in der Kammer der ZiviltechnikerInnen habe ich auf die Frage ob unser Zielpublikum den „Standard“ oder die „Kronen Zeitung“ liest, geantwortet: „das Gratisblatt in der U-Bahn“. Das ist in keinster Weise herabwürdigend gemeint, sondern soll verdeutlichen, wie einfach und niederschwellig unsere Inhalte zur Konsumtion bereitgestellt werden müssen. Wenn wir feststellen, dass es bei den Erwachsenen nicht geht, weil es zu spät ist, dann müssen wir uns an die Kinder wenden. Davon bin ich sowieso überzeugt, denn gute Gebäude, in dem Fall besonders Kindergärten, und eine lebenswerte Umwelt sind immer schon die beste Werbung für unseren Berufsstand gewesen.
Thomas Hoppe, im schriftlichen Interview, Februar 2021. Thomas Hoppe ist Geschäftsführer von HOPPE Architekten, Gesellschafter von HOPPE+Partner und Sektionsvorsitzender der ArchitektInnen der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland.