Nachschau: Vor der eigenen Tür
Nachbarschaft / Gemeinschaft / Freiraum / Mitgestaltbarkeit / öffentlich und privat / share & care / Baugruppen / Cohousing / Wohnbaudialog, 8.10.2020
weiterlesen …Video-Dokumentation des 4. St. Pöltner Wohnbaudialogs
Das gesamte Programm zum Nachschauen in einzelnen Vorträgen. Bitte runterscrollen.
Hier geht es alternativ zur gesamten Playlist auf YouTube.
Isabella Stickler | Obfrau Alpenland
Martin Michalitsch | Abgeordneter des NÖ Landtag
in Vertretung von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner
Norbert Steiner | Vorstandsmitglied Alpenland
Reinhard Seiß | Stadtplaner und Fachpublizist
Andreas Hofer | Architekt, Mitbegründer mehrerer Züricher Baugenossenschaften, Intendant der IBA’2027 StadtRegion Stuttgart
Philipp Klaus | Wirtschafts- und Sozialgeograf, Mitglied des Genossenschaftsvorstands
Nathanea Elte | Architektin, Präsidentin der Genossenschaft
Jonathan Kischkel | Architekt, Co-Präsident der Genossenschaft
Claudia Thiesen | Architektin, Vizepräsidentin der Genossenschaft
Konzept und Moderation: Reinhard Seiß
Unter dem Titel Die Genossenschaft von morgen gaben fünf Vortragende aus der Schweiz Einblicke in das Denken und Schaffen der Züricher Wohnbaugenossenschaften. Diese haben in der Schweiz eine lange Tradition. In den 1990er Jahren kam es in Zürich zu einer Gegenbewegung zu den etablierten Baugenossenschaften: Die sogenannten Jungen Wilden wollten ihre eigenen Ideen von Zusammenleben realisieren. Zu ihnen gehörte auch der Vortragende Philipp Klaus, der die Genossenschaft Kraftwerk1 mitgründete. Der Wirtschafts- und Sozialgeograf erzählte, dass in den 1990er Jahren selbst Einzimmerwohnungen und WG-Wohnungen in Zürich revolutionär waren. Inzwischen sind etablierte Baugenossenschaften offen für neue Wohnformen und kooperieren mit kleineren. Ein schönes Beispiel hierfür ist das Bauvorhaben auf dem Kochareal, das Nathanea Elte von der ABZ, der größten Wohnbaugenossenschaft der Schweiz, vorstellte. Hier entsteht das erste Hochhaus für genossenschaftliches Wohnen. Ab dem achten Geschoss werden drei Ebenen für gemeinschaftlich genutzte Räume vorgesehen. Ein Experiment unter vielen, das man in Zürich und Umgebung finden kann.
Die Genossenschaften wollen sozial verträglich und klimagerecht bauen und verstehen sich als Teil der Stadt. Schon im ersten Vortrag forderte Andreas Hofer, Mitbegründer mehrerer Zürcher Baugenossenschaften und Intendant der IBA‘2027 in Stuttgart, dass wieder mehr über Städtebau nachgedacht werden muss. Während in Österreich nach wie vor die meisten Wohnbauten rein dem Wohnen gewidmet sind und räumlich-funktional getrennt von den Arbeitsstätten errichtet werden, beginnt man in Zürich durch Nutzungsmischung produktive Quartiere zu erschaffen. Bei neuen Quartiersentwicklungen wird auch produzierendes Gewerbe integriert, was im Hinblick auf die Vermarktung und Preisbildung neue Herausforderungen mit sich bringt. Die Baugenossenschaft mehr als wohnen entwickelt sogar ganze Areale. Ihre Vizepräsidentin Claudia Thiesen stellte das Hunziker Areal vor, auf dem 1200 Menschen wohnen und 150 Menschen arbeiten.
Besorgt zeigten sich alle Vortragenden im Hinblick auf den Klimaschutz. Nachhaltig sei das Genossenschaftsmodell allein schon deshalb, so Hofer, da jedes Mitglied UnternehmerIn ist und daran interessiert sein muss, langfristig zu denken und die Bestände zu pflegen. Jonathan Kischkel von der Baugenossenschaft Kalkbreite zeigte eindrücklich, dass die Genossenschaften einen viel geringeren Wohnflächenverbrauch aufweisen als üblich. Im nationalen Durchschnitt bewohnt eine Person in der Schweiz und in Österreich circa 46 Quadratmeter, während in der Züricher Siedlung Kalkbreite jeder Bewohnerin oder jedem Bewohner nur 32,6 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Das reduziere CO2. Hierzu muss man wissen, dass die Schweiz schon seit vielen Jahren die 2000-Watt-Gesellschaft anstrebt, bei der jede Person nur mehr 2000 Watt Dauerleistung in Anspruch nimmt. Die Bemühungen machen sich bereits bemerkbar: Von 6000 Watt um die Jahrtausendwende ist der Verbrauch bereits auf etwas mehr als 4000 Watt pro Person gesunken. Einige Baugenossenschaften streben sogar noch höher gesteckte Ziel an wie beispielweise die Netto-Null.
Eine Frage wurde an diesem Tag immer wieder gestellt: Wie sind solch hochwertigen und innovativen Gebäude überhaupt möglich bei den hohen Bodenpreisen in Zürich? Die Antwort lautete: Viele Baugründe werden mit einem Baurecht vermietet. Bei der Vergabe haben Genossenschaften in Zürich meist Vorrang. Weiters ermöglichen günstige Kredite die Finanzierung solcher Bauvorhaben. Diese Rahmenbedingungen lassen den Beteiligten dennoch genug Spielraum, ihrer radikalen Haltung entsprechend zu bauen. Die Qualität der Architektur nimmt bei all diesen Projekten einen großen Stellenwert ein. Man wolle ein ausdrucksstarkes Haus und habe deshalb einen hohen baukulturellen Anspruch.
Im Hinblick auf den Wiener Wohnbau, der als sozialer Vorreiter gilt, aber der in seiner Programmatik meist konservativer ist, sagte Andreas Hofer abschließend: „Wir werden weniger gefördert, dürfen dafür aber mehr machen. Uns sagt keiner, wie wir wohnen sollen.“
Nachbarschaft / Gemeinschaft / Freiraum / Mitgestaltbarkeit / öffentlich und privat / share & care / Baugruppen / Cohousing / Wohnbaudialog, 8.10.2020
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