Das von der Galeristin Ursula Krinzinger und dem Architekten Carl Pruscha zum Lesehaus, einer Bibliothek mit regelmäßigem Veranstaltungsprogramm, umgewandelten Presshaus in Untermarkersdorf ist eine vorbildliche Einrichtung. Zum einen, weil damit ein leerstehendes Gebäude dank einer sensiblen Revitalisierung neuen Sinn bekommen hat, zum anderen, weil hier seit 2018 mit einem hochkarätigen Programm aus allen Kunstsparten der Dialog zwischen den Disziplinen und mit Publikum aus nah und fern gepflegt wird.
Aus Anlass des Erscheinen des Buches „Architektur in Niederösterreich 2010 - 2020” machten Ursula Krinzinger und ORTE-Vorsitzende Franziska Leeb das Um- und Weiterbauen in ländlichen Regionen zum Thema der ersten Veranstaltung dieses Jahres.
Anhand eigener Arbeiten legten Anja Mönkemöller und Burkard Kreppel vom Architekturbüro Mönkemöller & Kreppel, Norbert Steiner (Architekturbüro Sputnic) und Architekt Ernst Pfaffeneder dar, welche Potenziale oft unscheinbare landwirtschaftliche Nutzbauten und ländliche Anwesen aus allen Epochen als zeitgemäße, zukunftstaugliche Lebens- und Arbeitsräume bieten.
Vorhandene Bausubstanz – egal ob historisch wertvoll oder nicht – weiterzuverwenden ist ein wichtiger Hebel, um den enormen Ressourcenverbrauch unserer Zeit hintanzuhalten und ein Gebot der Stunde. Es mag nicht immer der einfachste Weg sein, ist aber stets der nachhaltigste. Dazu braucht es einerseits bauhistorisches und technisches Wissen, aber auch konzeptuelle Herangehensweisen, damit das Neue das Alte nicht konterkariert sondern damit in Einklang steht. Wie unterschiedlich diese sein können, wurde anhand der Vorträge von András Pálffy (Jabornegg & Pálffy Architekten) am Beispiel des in mehreren Etappen umgebauten Stift Altenburg sowie von Carl Pruscha anhand von Schloss Gattendorf und „kleinen Häusern“, die er zum Beispiel in den Kellergassen von Untermarkersdorf und Hadres umgebaut hat, deutlich.
Das Weinviertel ist bis heute geprägt von landwirtschaftlichen Nutzbauten. Stadelzeilen, die am Rand der in der Senke liegenden Dörfer den Horizont krönen, und in Hangkanten eingeschmiegte Kellergassen koexistieren harmonisch mit der Kulturlandschaft. Im Zusammenspiel von Funktion und schlichter Form sind sie Paradebeispiele einer anonymen nachhaltigen Architektur. Mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft kommt ihnen ihre ursprüngliche Funktion als Lager und Produktionsstätte vielfach abhanden. Ohne tragfähige Nutzungskonzepte und kongeniale Ansätze einer architektonischen Weiterentwicklung verkommen sie zu Potemkin’schen Dörfern und laufen Gefahr, entbehrlich zu werden. Während der Ensemblecharakter vieler Kellergassen einigermaßen unbeschädigt bewahrt werden konnte, haben die Siedlungskörper der Dörfer massiv an struktureller Ordnung eingebüßt. Einst kompakt in das Weichbild der Landschaft gebettet, wachsen sie ungeachtet der ökologischen, ökonomischen, sozialen und ästhetischen Folgen ungebremst ins umgewidmete Ackerland hinaus. Es mangelt an Bewusstsein für die Rolle von Anordnung, Lage und Ausgestaltung von Siedlungsgebieten in Hinblick auf die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels. Dabei böten die einst landwirtschaftlich genutzten Höfe enormes Potenzial, ressourcenschonend die dörflichen Strukturen mit neuen Inhalten für die Zukunft zu rüsten. Jenseits von Einzelmaßnahmen braucht es eine neue städtebauliche Vision für den ländlichen Raum, die Leitlinien für das Um- und Weiterbauen der Dörfer und Städte unter Bewahrung ihrer Identität und Charakteristik vorgibt.
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Architektur in Niederösterreich 2010–2020
Der vierte Band der Reihe "Architektur in Niederösterreich" dokumentiert und illustriert das Architekturgeschehen zwischen 2010 und 2020 in Niederösterreich und stellt in sieben typologischen, von Essays begleiteten Kapiteln jene Bauwerke vor, die von höchster baukultureller Qualität und beispielhaft in allen Landesvierteln zu finden sind.
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