Nachlese - Aktive und gemeinwohlorientierte Bodenpolitik: Möglichkeitsräume für Gemeinden
GesprächEs gibt zahlreiche Instrumente und Strategien zur Verhinderung von Bodenspekulation und der Mobilisierung von Bauland. Im Zuge des 2. NÖ Bodenfrühstück wurde klar, dass Gemeinden bessere Begleitung benötigen, um sie auf Gemeindeebene umzusetzen und die Bevölkerung als Partner in zu gewinnen. Franziska Leeb
Viele Ortskerne in Niederösterreich sind seit Jahren von einem Rückgang der Versorgungsqualität und Leerständen gekennzeichnet. Zugleich wachsen Einzelhandelsagglomerationen an der Peripherie und nimmt die Zersiedelung an den Rändern rasant zu. Das gefährdet ansässige Kleinbetriebe, führt zu einem Verlust an sozialen Treffpunkten, verursacht zusätzlichen motorisierten Verkehr und erschwert (nicht nur) weniger mobilen Bevölkerungsschichten die Bewältigung des Alltags.
Der damit einhergehende hohe Bodenverbrauch schadet dem Klima, beansprucht für die Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln dringend benötigte Böden und verursacht Kosten für die Errichtung und Instandhaltung von technischer und sozialer Infrastruktur, die von der Allgemeinheit zu tragen sind. Baulandreserven kosten die Gemeinden viel Geld, zu wenig Bauland in kommunalem Eigentum verringert die Handlungsspielräume der Gemeinden. Ein wichtiger Lösungsansatz ist es, auf der örtlichen Planungsebene die Grundlagen für eine nachhaltige und klimagerechte Siedlungsentwicklung zu schaffen. Dazu ist es zunächst wichtig, Bewusstsein für Zusammenhänge zu schaffen.
„Es sollte klar sein, dass Bodenverbrauch nicht nur etwas bringt, sondern auch kostet“, stellte Johann Bröthaler vom Fachbereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik der TU Wien in seinem Impulsreferat über „Fiskalische Effekte des Bodenverbrauchs“ fest. Eine Trendumkehr beim Bodenverbrauch ist noch nicht erkennbar, umso wichtiger sei es, Fiskalillusionen zu vermeiden und die mittel- und langfristigen Auswirkungen der Siedlungsentwicklung auf öffentliche Haushalte zu kalkulieren. Zum einen sind die Rechnungen „mehr Beschäftigte = mehr Kommunalsteuer“ oder „mehr Einwohner = mehr Ertragsanteile“ Rechnungen, die so nicht stimmen.
Zum anderen sind Steuereffekte raumblind. Ob Kommunalsteuer oder Grundsteuer im Ortszentrum oder außerhalb anfallen, macht keinen Unterschied, auch im Finanzausgleich spielt dies keine Rolle. Die Erschließungs- und Erhaltungskosten für die Infrastruktur je Wohneinheit sind bei dichten Siedlungsformen weitaus niedriger als in Einfamilienhaussiedlungsgebieten. Offensichtlich ist auch, dass Außenentwicklung per Saldo negative Effekte hat. Nur ein Teil davon wird über Nutzungsentgelte finanziert, die übrigen Folgekosten trägt die Allgemeinheit.
Daher brauche es im Finanzausgleich Mechanismen, die den Flächenverbrauch reduzieren oder zumindest nicht fördern. Das sei kurzfristig schwierig, langfristig aber unerlässlich. Wirksame Effekte wären zudem über die Grundsteuer, Infrastruktur- bzw. Erhaltungsbeiträge für unbebaute Grundstücke, eine lage- und flächenabhängige Bestimmung der Kommunalsteuer, eine bundeseinheitliche, angemessen hohe Leerstandsabgabe und eine Mehrwertabgabe zur Abschöpfung von Widmungsgewinnen erzielbar. Höchst relevant und auch kurzfristig möglich ist eine Steuerung über Förderungen, die Anreize für eine flächeneffiziente Siedlungsentwicklung, Altlastensanierung, Rückwidmungen, Entsiegelung und Ähnliches liefern.
Erkenntnisse aus der Diskussion
Seit Jahrzehnten wurde die Grundsteuer nicht valorisiert, Mehreinnahmen aus der Grundsteuer rühren bloß daher, dass mehr verbaut wurde. D.h. die Nutzung von Grund ist sehr kostengünstig - zum Schaden der Gemeinden, die sich um die Instandhaltung der Infrastruktur zu kümmern haben. Eine Erhöhung der Grundsteuer hätte einen Mobilisierungseffekt auf ungenutztes Bauland.
Belastungen entstehen durch Wachstum. Solange das Wachstumsparadigma nicht hinterfragt wird, wird sich nichts ändern. Vielen Menschen ist nicht bewusst, was ihr eigener Lebensstil an Bodenverbrauch auslöst. Daher ist es wichtig, zu überlegen, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen.
Wir brauchen eine politische Diskussion darüber, wie das gute Leben vor dem Hintergrund der aktuellen Themen Klimakrise, Energiewende, Erhalt der Biodiversität und Ernährungssicherheit aussieht. Das Wissen und die Methoden sind bekannt, man muss sie umsetzen.
Bodenverbrauch, der nicht zuletzt auch für die Energiewende (Windräder, PV-Flächen, etc.) notwendig ist, wird auch in Zukunft nicht zu vermeiden sein. Wenn er aber interkommunal organisiert ist, nicht jede Gemeinde ihr eigenes Spiel treibt, sondern Potenziale an den besten Standorten bündelt sowie das Bevölkerungswachstum vom Bodenverbrauch entkoppelt werden kann, also nur Innenentwicklung betrieben wird, ist viel gewonnen.
Im Zuge der regionalen Leitplanungen in den niederösterreichischen Regionen haben die Gemeindevertreter:innen folgende Themen, gewichtet nach Reihenfolge (Nr. 1 ist am wichtigsten) als die wesentlichsten genannt:Baulandmobilisierung
- Baulandmobilisierung
- Aktives Flächenmanagement
- Kleinstkinderbetreuung
- Klimawandel, erneuerbare Energie
- Mobilität
- Interkommunale Betriebsgebiete
- Gesundheitsvorsorge
- Stärkung kleinerer Dorfstrukturen
- Errichtung großflächiger PV-Anlagen
- Zweit- und Nebenwohnsitzthematik
Es ist wichtig, sich in der Regionalentwicklung zu diesen Themen Gedanken zu machen, die allesamt Fragen von Gemeinwohl, Bodenschutz und Klimaschutz berühren und im Zusammenspiel zu sehen sind. CO2-Verbrauch, Bodenverbrauch, Energiewende, Mobilität und vieles mehr sind nicht voneinander zu trennen, daher ist es wichtig, Synergien zu finden und nicht nur Einzellösungen zu verfolgen. Damit dies gelingt, wurden von den Diskussionsteilnehmer:innen folgende Handlungsfelder identifiziert:
Bodenmanagement
Der erste Schritt, weniger Boden zu verbrauchen respektive ihn sinnvoll zu verbrauchen, ist, von der Praxis der Bodenbereitstellung zum Bodenmanagement zu kommen. Der Schlüssel dafür liegt in der regionalen Zusammenarbeit.
Landschaftsgerüst schützen
Es wird in der Raumplanung bislang immer noch von der Siedlung ausgegangen. Der umgekehrte Zugang, von der Landschaft ausgehend zu planen, trägt zum Verständnis von Bodenqualitäten und Landschaftsraum bei. Daher sollten im räumlichen Entwicklungskonzept grüne Netze als eigene Layer im räumlichen Entwicklungskonzept entwickelt werden. Die Akzeptanz wird erhöht, wenn Gemeinden mit Beteiligung der Bürger:innen selbst darüber entscheiden können, wobei übergeordnete Landschaftsnetze (Natura 2000, Wanderungsachsen, etc.) berücksichtigt werden müssen. Es muss Flächen und Bodentypen geben, die nicht verhandelbar sind.
Instrumente mobilisieren und Gemeinden besser begleiten
Die fiskalischen und planerischen Instrumente sind bekannt, stehen den Gemeinden aber nicht zur Verfügung oder sind nicht einfach ein- und umsetzbar. Daher ist es wichtig, die Steuerungsinstrumente den Gemeinden zur Verfügung zu stellen sowie Planungsinstrumente und ihre Anwendung besser zu vermitteln und die Gemeinden zu begleiten.
Die Städtebauförderung in Deutschland ist ein Beispiel, wie Ortsentwicklung erfolgreich gesteuert und begleitet werden kann.
Planung muss gefördert werden
Um Umstrukturierungsprozesse effektiv zu gestalten, ist Planung, die alle Ebenen und Aspekte berücksichtigt, essenziell. Während Konzepte und Gutachten z.B. aktuell für Brachflächen (Brachflächendialog) gut gefördert werden, fehlen gerade in kleineren Gemeinden Budgets für städtebauliche Leitbilder, Wettbewerbsverfahren und weitere Planungen.
Enteignen nein, aber Eigentum verpflichtet
Widmungsgewinne sind privatisiert, Kosten von Rückwidmungen vergesellschaftlicht. Eigentümer:innen bei Rückwidmungen zu entschädigen, ist für viele Gemeinden nicht leistbar, es entstehen Kosten zu Lasten der Allgemeinheit. Daher ist es wichtig, konsequenter die mit Immobilien- und Grundstücksbesitz einhergehenden (gesetzlich geregelten) Pflichten und Qualitäten einzumahnen sowie fiskalische Instrumente einzusetzen/anzupassen. Das Einfamilienhaus generell zu verteufeln, ohne alternative Möglichkeiten der Eigentumsbildung, z.B. im Bestand oder in guten verdichteten Siedlungsmodellen aufzuzeigen, ist nicht zielführend.
Digitale Daten besser nutzen
Es gibt unzählige Datenbestände, die man besser verschneiden kann, um valide Informationen über Leerstand, Versiegelung etc. zu bekommen.
Bürger:innenbeteiligung
Man braucht breite Bürger:innenbeteiligung, um Legitimation gegenüber der Politik herzustellen. Bürger:innen beteiligen sich, wenn sie Selbstermächtigung spüren und merken, dass es einen Sinn hat, sich zu beteiligen.
Interessenslobbys bilden/Storytelling/klare Leitbilder
Es braucht konsistente Geschichten und eine interdisziplinäre, gut vernetzte Interessenslobby, um schwierige Themen klar und in anschaulichen Bildern zu vermitteln. Es gibt viele Leitbilder zu verschiedenen Themen, sie zu schärfen und zusammenzuführen wären – begleitet von einer guten Wissensvermittlung – wichtig, um die Ziele zu bündeln und verständlich zu kommunizieren. Gemeindevertreter:innen müssen fachlich qualifiziert und durch Schulungen unterstützt werden, um in der Stammtischdiskussion argumentativ bestehen zu können, Botschafter:innen für Baukultur, Bodenschutz und Klimaschutz werden zu können und in der Lage zu sein, vorhandene Instrumente anzuwenden.
Mediale Vermittlung
Zur Kommunikation an die Bevölkerung ist eine gute mediale Berichterstattung notwendig. Damit Journalist:innen die komplexen Zusammenhänge korrekt und verständlich darstellen können, ist es wichtig, dass die Fachwelt diese besser und anschaulicher als bisher and die Medienvertreter:innen kommuniziert.
ORTE dankt folgenden Personen für ihre kritischen und konstruktiven Diskussionsbeiträge zum 2. NÖ Bodenfrühstück am 24. Februar 2023 in der Niederösterreichische Landesbibliothek in St. Pölten:
Johann Bröthaler, Professor am Fachbereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik der TU Wien (Impulsreferat)
Hans Emrich, Emrich Consulting
Ronald Gutscher, Stadtgemeinde Tulln, Abteilung Baurecht, Raumordnung und kommunaler Hochbau
Peter Görgl, Modul5 GmbH; Institut für Geographie und Regionalforschung, Universität Wien
Werner Krammer, Bürgermeister Waidhofen/Ybbs
Franziska Kunyik, Amt der NÖ Landesregierung, Abteilung Umwelt- und Energiewirtschaft
Susan Kraupp, Architektin, sk stadtplanung
Johannes Pressl, Bürgermeister Ardagger, Präsident NÖ Gemeindebund
Christian Steiner, Vorsitzender Europäisches Bodenbündnis; NÖ Agrarbezirksbehörde, Fachabteilung Landentwicklung
Kerstin Suchan-Mayr, Bürgermeisterin St. Valentin, Abgeordnete zum NÖ Landtag
Johannes Wischenbart, NÖ Regional, Fachbereich Orts- und Stadtkernbelebung
Weiterführende Links:
http://www.bodenbuendnis.org/
https://www.umweltbericht.at/
https://www.noeregional.at/
https://www.tulln.at/aktuelles/nibelungenplatz-beteiligungs-und-planungsprozess https://oekobuero.at/files/699/klimafreundlichesiedlung_kerndler_krummnussbaum.pdf
https://waidhofen.at/stadtprojekt-20-17
https://utheses.univie.ac.at/detail/54756
https://skstadtplanung.at/projects/pilotinstrument-land
https://www.umweltgemeinde.at/download/4832
https://www.derstandard.at/story/2000143501123/wie-der-finanzausgleich-dem-flaechenfrass-entgegenwirken-koennte
https://architektur-kaernten.at/kontakt/publikationen/baukulturelle-leitlinien#&gid=1&pid=1