Der Domplatz St. Pölten im GEHspräch
Geführte PlatzvisitePlanung: Jabornegg & Pálffy
Fertigstellung: 2023
Es führt Architekt Franz Denk in Begleitung von Architekt Christian Jabornegg, Jens de Buck (Leiter der Stadtentwicklung St. Pölten), Harald Ludwig (Vizebürgermeister St. Pölten), Architekt Ernst Beneder (Vorsitzender des Gestaltungsbeirats St. Pölten), Stadtmuseumsleiter Thomas Pulle
St. Pölten ist die jüngste Landeshauptstadt Österreichs. Als Ergebnis der Volksbefragung von 1986 führte die Übersiedlung von Landesregierung und -verwaltung samt den später geplanten Monumentalbauten zu einer Aufbruchstimmung, der jedoch eine lange Phase der Stagnation folgte. Die Altstadt und die neu errichteten Viertel an der Traisen woll(t)en nicht so recht zusammenwachsen. Bis 2001 nahm die Bevölkerung sogar ab. Eine Trendumkehr konnte ab der Jahrtausendwende erreicht werden. Die Stadtplanung reagierte auf das seither anhaltende Stadtwachstum. Man wurde sich der wichtigen Rolle des öffentlichen Raumes bewusst, der in St. Pölten von einem ganz wunderbaren mittelalterlichen Stadtkern, zuerst barock und dann gründerzeitlich überformt, geprägt wird: Die engen Gassen, die kleinen Plätze und Höfe entpuppen sich inzwischen als bestens geeignete Strukturen im Kampf gegen den Klimawandel. Auch wenn (vor allem) außerhalb des Stadtkerns autogerechte Straßen- und Kreuzungsräume nach wie vor dominieren, erscheinen die attraktiven Innenstadtgassen heute umso hochwertiger, je weiter das Auto zurückgedrängt wurde. Der 1996 neu gestaltete Rathausplatz von Boris Podrecca bildet bis heute einen vielseitigen Angebots- und Erlebnisraum im Stadtzentrum.
Der Domplatz wurde weiterhin als Parkplatz genutzt. Erst 2008 besann man sich auf die Potenziale dieses gewaltigen Freiraums an der bischöflichen Residenz und es folgte ein Grundsatzbeschluss zu dessen Umgestaltung. Ein Jahr darauf wurde die Bevölkerung zu Ideen und Wünschen befragt und 2010 fand ein Wettbewerbsverfahren unter Vorsitz von Friedrich Kurrent statt, aus dem das bekannte Architektenduo Jabornegg & Pálffy als Sieger hervorgegangen ist. Die Architekten beschreiben ihren Entwurfsansatz wie folgt: „Der Domplatz wird als multifunktionaler Platz für den Wochenmarkt, liturgische Zwecke und Open-Air-Festivals genutzt. Die Gestaltungsmaßnahmen definieren einen großzügigen städtischen Raum, der diese variablen Nutzungen aufnimmt und die notwendige Infrastruktur anbietet.“ In der Folge verursachte die stadthistorische Bedeutung des Domplatzuntergrundes eine 12-jährige(!) Grabungstätigkeit, die schließlich zu sensationellen archäologischen Erkenntnissen führte: Reste der Römerstadt, 22.000 Bestattungen aus der 900-jährigen Friedhofsgeschichte und zwei mittelalterliche Sakralbauten (Pfarrkirche und Andreaskapelle) konnten für die Nachwelt analysiert und wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Stadtentwicklung braucht Zeit. Nach dem Errichtungsauftrag 2020 wurde der Platz im Jahr 2022 in mehreren Bauphasen endlich umgebaut.
Aufgrund der spezifischen Gegebenheiten (Schutz der archäologischen Ausgrabungen) und der beabsichtigten Nutzungsfreiheit wurde beinahe zur Gänze auf eine „Möblierung“ des Platzes verzichtet. Die Bepflanzung ist auf einen schmalen Streifen im Südteil des Platzes beschränkt, wo sechs Bäume in kleinen Blumenrabatten stehen. Sprühdüsen sollen der sommerlichen Hitze entgegenwirken. Die Beleuchtung erfolgt zur Gänze über die Platzfassaden. Die Platzlösung wird, auch wenn sie dem Wettbewerbsprojekt weitgehend folgt, bisweilen als ernüchternd empfunden: Der großzügige Entwurf, dessen diffizile Gesamtkonzeption, die Klarheit der Geometrien, die sorgfältig ausgewählten Materialien und die minimalistische Gestaltung sind mit einer zeitgemäßen stadträumlichen und umweltgerechten Lösung wohl nur schwer vereinbar, lauten Reaktionen aus Bevölkerung und Fachwelt. Vor allem die Leere des Platzes wirft viele Fragen auf, einige seien hier angeführt: Welche sozialräumliche Rolle spielt der Platz? Welche Platznutzungen sind vorgesehen? Welche Aufenthalts- und Überquerungsqualitäten hat der Platz? Wie funktioniert das Verweilen auf dem Platz? Welche Rolle spielen die Platzdimensionen? Wie verhält sich der Platz zum Stadtparterre? Welche Einflüsse haben die umgebenden Gebäude? Waren mehr Pflanzungen nicht möglich? Was bedeutet der Verzicht auf Schatten? Welche Rolle spielt der Steinbelag? Wohin fließt das Regenwasser?
Die Einbettung des Platzes in den historischen Stadtkörper führt auch zur Frage, welche Aufgabe und Rolle der Masterplan *stp25|50 dieser innerstädtischen Zone zuordnet. Betrachtet man die Stadt als kommunizierendes Gefäß, dann sind Wechselwirkungen mit den angrenzenden Straßen und Vierteln zu berücksichtigen, beispielsweise mögliche Auswirkungen auf die angrenzenden „Klosterhöfe“ der Dompfarre. Die Stadt setzt bereits unterstützende Impulse zur Belebung und Attraktivierung der Innenstadt. Die Stadtbibliothek wurde in die ehemalige Oberbank auf dem Platz umgesiedelt. Am Bischofsgarten wird eine - nicht unumstrittene - private Parkgarage errichtet. Das größte und wichtigste Schwerpunktprojekt für die kommenden Jahre bildet die Neugestaltung des Promenadenrings, die nicht nur das Gesicht der Stadt nachhaltig verändern, sondern auch die Lebens- und Aufenthaltsqualität in St. Pölten deutlich erhöhen wird. Auch private (Groß-)Projekte wie die Neustrukturierung der Leiner-Gründe werden weitreichende Wechselwirkungen im Stadtkörper – und auch mit dem Domplatz - verursachen.
ORTE bietet mit dem GEHspräch die Möglichkeit zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit der Platzlösung an. Im Zuge des gemeinsamen Erfahrens sollen die Ideen und Absichten der Errichter:innen, sowie Eindrücke und Aussagen der Teilnehmer:innen gegenseitig vermittelt werden.
So ist auch das GEHspräch am und rund um den Domplatz ein dialogischer Rundgang, bei dem Politiker:innen, Entscheidungsträger:innen, Planer:innen, Expert:innen, Anrainer:innen und Interessierte die Möglichkeit zum Kennenlernen und Fragen, zum Meinungs- und Interessensaustausch erhalten.
Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenfrei, die Anreise erfolgt in Eigenregie.
Eine Anmeldung ist erforderlich unter office@orte-noe.at
Es wird darauf hingewiesen, dass bei der Veranstaltung Fotos gemacht und zum Zweck der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Dokumentation verwendet werden.