Mitglieder im Gespräch
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
weiterlesen …Liebe Anna Soucek: Wie bzw. wann bist du auf ORTE aufmerksam geworden?
ORTE kenne ich seit gut zwanzig Jahren. 2002 haben wir das forum experimentelle architektur gegründet, kurz f.e.a, mit dem wir von unserem Büro im MuseumsQuartier aus eine Reihe verschiedener Aktivitäten entwickelt haben. Zu den schönsten und erfolgreichsten Aktionen gehörten die sogenannten „Symposien unterwegs“, unter der Leitung von Jan Tabor, die ORTE veranstaltet hat. Aus dieser Zeit kenne ich ORTE und die Menschen, die diese Institution tragen.
Du hast Kunstgeschichte und Curatorial Studies in London studiert. Heute arbeitest du als Radiomacherin und thematisierst dort immer wieder baukulturelle Fragen. Erinnerst du dich an den ersten Impuls, der zu deiner Berufswahl geführt hat? Wie bist du zum Radio gekommen?
Für Kunst und Architektur und deren Vermittlung habe ich mich seit der Jugendzeit interessiert; nach der Matura habe ich am Courtauld Institute of Arts, University of London, Kunstgeschichte studiert und danach Creative Curating am Goldsmiths College. Radio habe ich immer schon interessant gefunden, aber selbst Radio zu machen habe ich 2004 begonnen. Da war ich mit dem Studio Zaha Hadid an der Universität für Angewandte Kunst auf einer Studienreise in China; ich habe dort Aufnahmen gemacht, ohne konkrete Aussicht, sie zu verwerten. Dann habe ich die Kulturredaktion von Radio Österreich1 kontaktiert, und aus dem China-Material ist mein erster Radiobeitrag geworden. Seitdem ist die Kulturberichterstattung mein Beruf. Diesen habe ich nicht wirklich für mich gewählt, eher bin ich dazu gelangt, indem ich meine Interessen verfolgt habe.
Mit welchen Aufgaben setzt du dich momentan beruflich auseinander?
Das ist breit gestreut: Ausstellungsrezensionen, Künstler:innenportraits, Radiokunst und Kunst zum Hören, Architektur, Städtebau… Um exemplarisch etwas zu nennen: Für die Ö1-Sendereihe Diagonal mache ich heuer, 2021, eine Rubrik über Publikationen von Künstlerinnen und Künstlern, also über Bücher, die keine Ausstellungskataloge oder Monografien, sondern Kunst-Objekte an sich sind.
Zu den gegenwärtigen Umständen: Wie geht es dir persönlich bei der praktischen Ausführung deiner Arbeit seit Ausbruch der Pandemie?
Es ist viel Improvisation im Spiel, bedingt durch die geringe Planbarkeit und die sich ständig ändernden Maßnahmen und Lebens- bzw. Arbeitsbedingungen. Es ist schwierig, über Ausstellungen und Projekte oder Menschen zu berichten, die man aufgrund der Ausgangsbeschränkungen gar nicht live und vor Ort besichtigen kann, sondern bestenfalls über Videotelefonie. Mir fehlt der persönliche Austausch mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Freund:innen, Zufallsbekanntschaften; trotz der digitalen Vernetzung fühle ich mich ein wenig abgekappt vom Geschehen, das ja ohnehin darniederliegt. Aber damit stehe ich nicht allein da.
Zur regionalen Situation in Niederösterreich: Was sind die dringendsten Fragen, auf die die Architektur und Raumplanung in den nächsten Jahren wird Antworten liefern müssen?
Wie können die pandemischen Schäden an der vielversprechenden, neu entfalteten europäischen Unionseinheit über Staatsgrenzen hinweg behoben werden? Wie kann Phänomenen wie Zersiedelung und Bodenversieglung Einhalt geboten werden? Welche Mobilitätsstrategien braucht es, um den motorisierten Individualverkehr einzudämmen?
Welche leistbaren Wohnformen wollen wir etablieren, die sowohl für das Klima als auch den sozialen Zusammenhalt erträglich sind? Wie kann der Umgang mit lädierten Kulturlandschaften intensiviert werden? Wie können verwaiste Ortszentren aktiviert werden? Und aktuell: Wie kann das durch Home-Office verringerte Mobilitätsaufkommen in Zukunft beibehalten und genutzt werden also: was braucht es, um das Pendeln zu verringern? Muss mein Wohnzimmer ein Büro sein? Oder kann ich Arbeitsraum und -infrastruktur mit Gleichgesinnten teilen? Diesbezüglich gibt es bereits erprobte Konzepte à la Co-Working – nun gilt es, diese auch politisch und außerhalb der Großstädte umzusetzen.
Wie schätzt du die Dynamik und Qualität des heimischen Architekturschaffens ein – im Vergleich mit den Nachbarländern?
Einen Vergleich finde ich nicht zielführend – aber wenn man diesen anstellen will, dann würde Österreich nicht so selbstverherrlichend dastehen, wie das Bild hierzulande gepflegt wird. Wo in Österreich in den letzten Jahren sicher sehr viel weitergebracht wurde, ist im Schulbau, im Bereich der Bildungseinrichtungen. Städtebau und Urbanismus hingegen sind wohl eher unterentwickelt.
Welche Rolle spielen Architekt:innen heute in der Gesellschaft?
Ein enorme, langfristig betrachtet; allerdings ist diese Rolle öffentlich wenig sichtbar und gesellschaftlich unterschätzt. Der Relevanz von Architekt:innen und Raumplaner:innen für die Gestaltung unseres Zusammenlebens wird auf der Entscheidungsebene leider zu wenig Rechnung getragen.
Was wünschst du dir von ORTE, was würdest du gern in deiner Zeit im Vorstand einbringen, in welche Richtung würdest du die Arbeit von ORTE gerne „anschubsen“?
Mehr Europa! Was ja von ORTE auch begrüßt wird. Mit Jan Tabor bereiten wir für August 2021 eine Wiederauflage des „Symposium unterwegs“ vor; diesmal in der Region Retz-Znaim. In den Grenzregionen zwischen Niederösterreich und den Nachbarländern hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel entwickelt; das wollen wir erkunden und besuchen und sichtbar machen. Voraussetzung dafür ist freilich, woran wir uns seit 1989 gewöhnt haben und was jetzt gerade keine Selbstverständlichkeit mehr ist: offene Grenzen.
Anna Soucek, im Vorstand von ORTE seit 2019, im schriftlichen Interview, Januar 2021. Soucek hat Kunstgeschichte studiert und das „forum experimentelle architektur“ mitbegründet. Beim ORF-Kultursender Österreich1 gestaltet sie seit 2004 Radiobeiträge über Radiokunst, Architektur, Stadtforschung und Gegenwartskunst.
Hier werden Mitglieder von ORTE zum Interview gebeten und vorgestellt.
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