Nachlese - Erneuerbare Energie und Bodenschutz: Chancen und Konflikte
Gespräch
Erneuerbare Energie benötigt Fläche, zugleich soll der Bodenverbrauch in Österreich in naher Zukunft radikal verringert werden. Agrophotovoltaik gilt als Wundermittel, um beides in Einklang zu bringen. Worauf zu achten ist, darüber diskutierten Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen beim 1. NÖ Bodenfrühstück. Franziska Leeb
Beim erforderlichen Ausbau von erneuerbarer Energie und Bodenschutz entstehe ein Konflikt zwischen gut und gut, stellte Thomas Schauppenlehner, Senior Scientist am Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung an der BOKU Wien in seinem Impulsreferat fest. Laut Regierungsprogramm soll der Flächenverbrauch in Österreichs bis 2030 auf von derzeit 11,3 ha/Tag (41 km²/Jahr) auf netto 2,5 ha/Tag (9 km²/Jahr) reduziert werden. Zugleich gilt es bis 2050 das Energiesystem zu transformieren, fossile durch erneuerbare Energie zu ersetzen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Ausbau von Photovoltaik, der – wie etliche Studien ergeben – nicht zur Gänze auf Dächern und bereits versiegelten Flächen erfolgen könne. Aktuell entspricht die installierte PÜV-Leistung einer Fläche von 2.500-3.000 ha. Bis 2030 gilt es die PV-Produktion von 2,8 TWh/a auf 11TWh/a zu steigern, bis 2050 – abhängig von der Entwicklung von Energieverbrauch und -effizienz auf 45-110 TWh/a – abhängig davon, wie sich die Mobilität und Energieeffizienzpfade entwickeln. Anschaulich dargestellt bedeutet das im ersten Schritt einen Flächenbedarf für Photovoltaik im Ausmaß der Fläche von Dornbirn oder anders ausgedrückt wird jene Fläche, die derzeit in drei Jahren ohnedies verbaut wird bis 2030 für die PV-Produktion benötigt. Noch dramatischer stellt sich der Flächenbedarf bis 2050 dar, der im besten Fall jener von Wien, im schlechtesten Fall dem Fünffachen davon entspricht. Knapp unter 100.000 ha (Gebäude, Straßen, Parkflächen) sind in Österreich aktuell versiegelt. Laut diverser Studien sind davon nur 10-15 Prozent innerhalb von acht Jahren für Photovoltaik nutzbar zu machen. Sicherheit, Statik, Entscheidungsfindungsprozesse bei mehreren Eigentümern, die Errichtungskosten für Private und auch der Denkmalschutz sind Gründe, die das Anbringen von Photovoltaik auf Dächern, Parkplätzen oder über Straßen verhindern oder verzögern. Auf Freiflächen ist vieles einfacher, es gibt aber andere Herausforderungen. Sie reichen von Landnutzungskonflikten mit Naturschutz, Landwirtschaft, Tourismus und Erholung bis hin zu Veränderung und Verlust von Habitaten, wobei viele Effekte auf die Tierwelt noch wenig untersucht sind.
Als Schlüssel zur Lösung gilt Agrarphotovoltaik, die Kombination von Energieerzeugung und landwirtschaftlicher Produktion. Die Landnutzungseffizienz kann dadurch stark gesteigert werden und es bieten sich auch Chancen für die Trockenzonen im Osten Niederösterreichs, weil die Beschattung die Evaporation der Pflanzen und damit den Bewässerungsbedarf verringert, abhängig vom System ist der Platzbedarf aber etwa doppelt so groß und insbesondere hoch aufgeständerte Anlagen lassen sich schwer im Relief der Landschaft verbergen. Dazu kommt, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Inanspruchnahme von Agrarflächen sehr gering ist, wobei die emotionale Tank-Tellerdebatte ein Scheingefecht sei, so Schauppenlehner. Während die Freiflächen-Photovoltaik bis 2030 ungefähr 12.000 ha benötigt, wird in Österreich jetzt schon auf rund 100.000 ha Biomasse angebaut. Im Gegensatz zum Mais, dem man nicht ansieht, dass er im Tank landet, wird die PV-Fläche in der Natur als störend wahrgenommen. Die Zonierungen für PV in NÖ und anderen Bundesländern erscheinen sinnvoll, da aber die Kriterien und Grundlagen dafür nicht veröffentlicht und kaum nachvollziehbar sind, bleibt die Frage ob es effizientere Lösungen gäbe. Angesichts dieser Zahlen scheinen die bis spätestens 2050 zu erreichenden Energieziele äußerst schwer umsetzbar, wenn es nicht zu einem fundamentalen Systemwechsel kommt. Eine vorausschauende strategischen Planung wäre wichtig.
Erkenntnisse aus der Diskussion Die nachfolgende Diskussion war von großem Verständnis für die unterschiedlichen Blickwinkel aus verschiedenen Fachgebieten getragen. Dieses gegenseitige Verständnis und ein fachliches Wissen auf gleichem Stand sind wesentlich, um die unterschiedlichen berechtigten Interessen unter einen Hut zu bekommen. Im Zuge des notwendigen massiven Ausbaus von erneuerbaren Energien – wobei ein Mix unterschiedlicher Energieträger unerlässlich ist – sind die erforderlichen Leitungskapazitäten bereitzustellen (Erweiterung, Neubau). Dieser Prozess des kompletten Umbaus ist unabhängig von der Art der Energieversorgung dringend notwendig und braucht noch Zeit. Der gesetzlich geforderte Netzausbauplan ist überfällig. Die Kosten für den Netzausbau sind vergemeinschaftete Kosten, die jeder und jede Einzelne spüren werden.
Laut BEAT-Studie (Bodenbedarf zur Ernährungssicherung in Österreich) wird der Eigenversorgungsgrad von Niederösterreich und ganz Österreich aufgrund des Klimawandels sinken. Siedlungsentwicklung findet in erster Linie auf Ackerflächen statt. Die Schweiz schreibt die Ausweisung von Fruchtfolgeflächen (FFF) auf Ebene der Kantone als Beitrag zur Sicherung der Ernährungssouveränität vor. Daraus ergeben sich massive Einschränkungen für neue Baulandwidmungen und es kann dazu führen, dass Flächen rückgewidmet werden müssen.
Die Fertigstellung und Beschlussfassung der Österreichischen Bodenstrategie soll im 1. Halbjahr 2023 erfolgen und die Grundlage für ein einheitliches Monitoring durch Bund, Länder und Gemeinden bieten. Die Missverständnisse zu den derzeit kursierenden unterschiedlichen Zahlen zu Flächeninanspruchnahme und Bodenversiegelung können so ausgeräumt werden. Sie wäre ein Instrument zur Klarstellung, wieviel Fläche in Österreich noch in Anspruch genommen werden soll.
Die Energiewende ist ein gesellschaftliches Problem, aber davon zu reden, was zu tun ist, ist zu wenig, es muss gehandelt werden. Wie sich zeigte, ist die Thematik Energiewende im Spannungsfeld zum Bodenschutz ein Gebiet mit unzähligen Facetten, dennoch herrschte in der Runde Einigkeit in wichtigen Punkten:
Landschaftsbild/Gestaltung Landschaften haben sich immer verändert und werden sich weiter verändern, in diesem Zusammenhang werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass die Energiewende in Zukunft mehr als bisher sichtbar sein wird. Da die Denkweisen von Naturschutz und Denkmalschutz unterschiedlich sind, müsste man sie auf eine gemeinsame geisteswissenschaftliche Ebene bringen und die kulturelle Dimension betrachten, um die Veränderungen begleiten und steuern zu können. Landschaftsästhetik ist im Gegensatz zu wirtschaftlichen oder naturwissenschaftlichen Kennzahlen nicht messbar. Es braucht für die Transformation der Ortsbilder und Landschaften fachliche Begleitung und gesellschaftspolitische Übereinkünfte, welche Form von Mehrwert beachtet werden soll. Dazu ist es auch notwendig, den Denkmalschutz weiterzuentwickeln und Eigentümer denkmalgeschützter Bauten in die Entwicklungsstrategien einzubeziehen. Kurzum, ein gemeinsames Konzept ist notwendig, in dem Naturschutz, Ökologie, Landschaftsbild und Denkmalschutz eine ebenso große Rolle spielen wie Ausbau der erneuerbaren Energieversorgung und Landwirtschaft.
Agrarflächenplanung/Grünraumplanung Es braucht eine systematische und langfristige Planung außerhalb des Baulands, eine regionsspezifische Raumplanung für das Grünland. Dabei sind folgende Elemente zu berücksichtigen: dauerhafte Siedlungsgrenzen, unterschiedliche Nutzungsansprüche wie Landwirtschaft, Freizeit und Erholung, Naturschutz, Hochwasserschutz, etc. wobei es wichtig ist, dass diese Pläne für die Gemeinden verständlich sind.
Photovoltaik-Anlagen, Beteiligungsmodelle Widmungen für PV sollen an Bedingungen geknüpft werden wie z.B. Bevorzugung von Energiegemeinschaften, Durchführung von Beteiligungsmodellen, partizipative Planungen. Weiters soll ein zu verhandelnder Anteil der Erträge aus PV-Anlagen für lokale Projekte (z.B. Kinderbetreuung, öffentlicher Verkehr) zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden.
Energiewende zum Thema jedes einzelnen machen Das Landschaftsbild ist oft eine Kulisse für mannigfaltige Ängste und Sorgen. Wenn Profite aus erneuerbaren Energien auch dazu genutzt werden, in z.B. strukturschwachen Gebieten die Infrastruktur vor Ort auszubauen, profitieren alle und es ist einfacher, die Menschen dafür zu gewinnen. Dann dreht sich das Windrad nicht für Grundstücksbesitzer und Energieunternehmen, die hohe Gewinne erzielen, sondern für jeden einzelnen Bürger und jede Bürgerin.
Vermittlungsarbeit Es existieren zahlreiche Leitbilder und Ziele in Hinblick auf Energiewende, Klimaresilienz, Landschaftsschutz, Raumplanung und Ortsbildschutz nebeneinander. Selbst für Fachleute ist es schwierig, den Überblick zu wahren. Eine verständlichere Kommunikation ist notwendig, um die Bevölkerung bei diesem riesigen Paket an Themen mitzunehmen und zu einer gesellschaftlichen Übereinkunft zu kommen.
Fundamentaler Systemwandel notwendig Viele Fragen sind noch offen. Klar ist aber, dass einzelne Maßnahmen und Veränderungen nicht ausreichen, um die Klimakrise abzuwenden. Es ist losgelöst von Interessen einzelner ein ganzheitlicher Wandel in Wirtschaft und Lebensweise notwendig.
ORTE dankt folgenden Personen für ihre kritischen und konstruktiven Diskussionsbeiträge zum 1. NÖ Bodenfrühstück am 17. Februar 2023 in der Niederösterreichische Landesbibliothek in St. Pölten: Maria Auböck, Landschaftsarchitektin, ZV-Präsidentin, ÖGLA-Vizepräsidentin Daniel Berger, NÖ Energie- und Umweltagentur Angelika Kirtz, Land NÖ/Baudirektion, Naturschutz Franziska Kunyik, Amt der NÖ Landesregierung, Abt. Umwelt- und Energiewirtschaft Gerald Pfiffinger, Umweltdachverband Judith Pospischil, Bundesverband Photovoltaic Austria Manfred Prosenbauer, Landwirtschaftskammer Niederösterreich Nikolaus Reisel, Bürgermeister Meiseldorf, Gemeindebund Bezirksvorstand Thomas Schauppenlehner, BOKU, Institut für Raum, Landschaft und Infrastruktur (Impulsreferat) Christian Steiner, NÖ Agrarbezirksbehörde, Abteilung Landentwicklung, Vorsitzender Europäisches Bodenbündnis ELSA
Boden ist ein endliches Gut. Der sorglose Umgang mit ihm hat fatale Folgen für unsere Zukunft. Existentielle Herausforderungen stellen sich in Bezug auf Klimaerwärmung und Starkwetterereignisse, Ernährungssicherheit, Biodiversität, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit.
ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich verwendet auf dieser Website, www.orte-noe.at, Cookies. Damit werden anonymisierte, statistische Daten gespeichert, die der Erfassung und Auswertung der Website-Nutzung dienen. Mit dem Drücken von "OK" oder dem Weitersurfen auf dieser Website stimmen sie dem zu. Detailierte Informationen dazu finden Sie im Impressum, in der Datenschutzerklärung.