Vier Salon-Gespräche zum Schreiben über das Bauen in Österreich.
In jeder anderen Kunstgattung, ob in Literatur oder Theater, ob in Film oder Musik, ist in unseren Medien auch negative Kritik ganz selbstverständlich. Selbst Weltstars sind nicht davor gefeit, dass ihr jüngster Roman, ihr aktuelles Stück oder ihr letztes Album in den Feuilletons durchfällt. Aber kennen Sie ein Gebäude von Jean Nouvel oder Zaha Hadid, von Hans Hollein oder Coop Himmelb(l)au, das der heimischen Architekturkritik missfallen hätte? Diese erschöpft sich großteils in der reinen Beschreibung von Häusern. Aber auch wenn einmal ein mutiger Autor, eine mutige Autorin gegen einen Bau anschreiben, geht deren Urteil in der Flut an PR-Texten zum selben Objekt unter. Dabei wäre Kritik nirgends so wichtig wie in der Baukunst: Steht ein Haus erst einmal oder ist ein Platz gestaltet, prägen sie für Jahrzehnte unseren Lebensraum. Während alle anderen Kunstformen von ihrem Publikum selbst gewählt in Anspruch genommen werden, ist Architektur unausweichlich.
Oft wird argumentiert, Architekturkritik erreiche mehr, wenn sie sich auf die Präsentation gelungener Beispiele konzentriere. Was aber faktisch passiert, ist, dass auch viele belanglose Bauten durch hohle Begrifflichkeiten mit Bedeutung aufgeladen werden – und misslungene Architektur unwidersprochen bleibt. Kritik heißt jedoch Unterscheiden bzw. Trennen, heißt Beurteilen – Beurteilen anhand nachvollziehbarer Maßstäbe. Laut der Philosophin Anne-Barb Hertkorn ist Kritik eine Grundfunktion der Vernunft. Ohne sie fehlen unserer Architektur Reflexion und wichtige Korrektive. Darüber hinaus könnte Kritik durch Aufwerfen grundsätzlicher architektonischer und urbanistischer Fragen die Gesellschaft für eine Verbesserung der gebauten und gestalteten Umwelt sensibilisieren wie mobilisieren.
Der Publizist Hubertus Adam hat 2015 im Schweizer Architekturmuseum in Basel eine Ausstellung mit dem Titel „Textbau. Schweizer Architektur zur Diskussion“ kuratiert und die Architekturkritik ins Zentrum der Betrachtung gestellt. Im Katalog zur Ausstellung hat er internationale Architekturkritikerinnen und -kritiker – viele aus dem deutschen Sprachraum – befragt, worin die Essenz von Architekturkritik liegt und wie sie deren Zukunft einschätzen. Es ist bezeichnend, ja eigentlich beschämend, dass sich kein einziger Vertreter aus Österreich unter den Befragten befand.
ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich wird 2017 in vierSalons ausgewählte Architekturkritiken aus Österreich und dem deutschsprachigen Raum analysieren und unter anderem folgenden Fragen nachgehen: Welche wirtschaftlichen, akademischen und gesellschaftlichen Faktoren bedingen den Zustand der heimischen Architekturpublizistik? Was sind die Qualitätsmerkmale guter Architekturkritik? Welche Kriterien sind an die Auswahl und die Beurteilung von Bauten anzulegen? Wie sehr sollen Kritikerinnen und Kritiker in ihren Texten Position beziehen? Welche Sprache ist dabei angemessen? Und wo verlaufen die Grenzen zu Marketingtexten, Projektlobbying und Live Style-Journalismus rund um Architektur?
ORTE lädt AutorInnen, MedienvertreterInnen, VerlegerInnen, ArchitekturvermittlerInnen, PlanerInnen und alle Baukulturinteressierten zur Diskussion in den Salon ein. ORTE stellt hier zur Vorbereitung auf die Veranstaltung neben dem Text von Walter Zschokke weitere Artikel von anderen KritikerInnen zum Download bereit. Diese bilden die Gesprächsgrundlage. Auch können gerne geeignete Texte für die gemeinsame Analyse bis spätestens 18. Jänner unter office@orte-noe.at vorgeschlagen werden.
Literaturliste:
Walter Zschokke: Vordenker, oder Pawlowsche Hunde? Erschienen in: Walter Zschokke. Texte Hg: Franziska Leeb, Gabriele Lenz, Claudia Mazanek für ORTE Architekturnetzwerk NÖ u. d. ZVA Österr.s, Park Books, Zürich, 2013, Seiten 130-132
Otto Kapfinger: Im Sprachraum – Schreiben über Architektur Erschienen in: ausgeprochen – Reden zur Architektur Hg: Architekturzentrum Wien, Verlag Anton Pustet, 1999, Seiten 16 - 23
Friedrich Achleitner: Ein Dilemma, jedenfalls … Erschienen in: Dokumente zur Architektur, Heft 1 Hg: Haus der Architektur Graz, Seite 6 u. Seite 8
Walter Zschokke: Architektur in Worte fassen Erschienen in: Dokumente zur Architektur, Heft 1 Hg: Haus der Architektur Graz, Seiten 40, 42, 44, 46, 48, 50
Karin Tschavgova: Bauen fürs Feuilleton Erschienen in: Spectrum, 18. Februar 2006 HG: "Die Presse" Verlags-Gesellschaft m.b.H. Co KG
Über drei Jahrzehnte hat der Schweizer Architekt Walter Zschokke das Architekturschaffen und baukulturelle Geschehen beobachtet, kommentiert und analysiert. Der vorliegende Band enthält eine Sammlung seiner pointierten, ungebrochen aktuellen Texte aus Hunderten von Schriften sowie bisher unveröffentlichten Manuskripten.
Der vierte und letzte Salon dieser Reihe setzt sich mit den – substanzielle Kritik verhindernden – Produktionsbedingungen, sprich mit den wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten und Zwängen von Medien und AutorInnen auseinander und lädt HerausgeberInnen wie ChefredakteurInnen gemeinsam mit Schreibenden und Lesenden von Architekturkritik zum Diskurs ein.
Zum Abschluss der Salon-Reihe "Architektur braucht Kritik" hat ORTE die renommierte Architekturkritikerin Ursula Baus eingeladen, das Thema angesichts der Dominanz der digitalen Medien zu reflektieren. Vortrag, Podiumsgespräch, Publikumsdiskussion...
Im dritten der vier Salons analysiert ORTE ebenfalls ausgewählte Architekturkritiken aus Österreich und dem deutschsprachigen Raum und geht dabei brisanten Fragen nach.
Auch in diesem zweiten Salon analysiert ORTE ausgewählte Architekturkritiken aus Österreich und dem deutschsprachigen Raum und geht dabei brisanten Fragen nach...
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